Schon kurz nach meiner Ankunft am Bahnhof in Namur habe ich mein erstes Erfolgserlebnis. Clara und Martin, geschätzt Mitte 20, sitzen auf einer Bank in der Bahnhofshalle, warten auf ihren Zug, und kennen beide die DG. "Das ist eine Gegend in Belgien, wo man deutsch spricht. Und die Behördensprachen dort sind Deutsch und Französisch", sagt Martin.
Clara erinnert sich, dass sie im Studium eine Kommilitonin hatte, die aus St. Vith kam. Dank der Freundin sei sie auch mal in der DG gewesen, erzählt Clara weiter, habe St. Vith besucht, den Karneval in Eupen miterlebt, die Badeseen von Bütgenbach und Robertville kennengelernt.
Gegenüber dem Bahnhof liegt das "Café de la Gare". Die Wirtin will mir nicht antworten, ein Kunde an der Theke kennt die DG nicht. Didier allerdings schon. Meint er zumindest. Hinter einem Glas Bier sitzt der End-50er an einem Tisch, vermischt in seinen Antworten Wissen über die Ostkantone - die Rédimés, wie er sie im alten Sprachgebrauch nennt - mit Wissen über die Voeren nördlich der DG.
Wenige wüssten etwas über die, sie selbst blieben meist unter sich, gehörten aber auf jeden Fall zu Belgien, erzählt Didier. Die Rédimés oder Voeren würden Deutsch sprechen. Und er könne sich vorstellen, dass sie nach dem Ersten Weltkrieg dank des Vertrags von Versailles zu Belgien gekommen seien.
Spa und Malmedy
Ich verlasse die Kneipe, tauche ein in die Innenstadt. Auf der Straße will mir zunächst niemand antworten. Also gehe ich in ein Geschäft. Verkäuferin Natalia antwortet mir auf die Frage nach der DG: "Das ist die Gemeinschaft in Belgien, die deutsch spricht." Mehr weiß sie aber nicht zu sagen. Spa und Malmedy fallen ihr als Städte ein. Und viel Wald. Immerhin.
Wieder auf der Straße entdecke ich einen Eisverkäufer in seinem Wagen. "Glacier de Namur" steht darauf geschrieben. Ich spreche Verkäufer Alain an. Ob er wisse, was die DG sei? "Das ist ein Teil von Belgien, sagt er, "die Leute sprechen dort Deutsch. Haben eine Grenzkultur. Aber viel mehr weiß ich nicht." Mit Grenzkultur meint er auf Nachfrage ein Gemisch aus belgischer und deutscher Kultur.
Eine Stadt kann er mir nicht nennen, die in der DG liegen könnte. Und dann sagt er noch Folgendes: "Das ist nicht weit, nicht weit von uns entfernt. Aber irgendwie gehört das nicht zu unseren Gewohnheiten. Unser Denken hört bei Lüttich auf. Hinter Lüttich verschwindet alles im Nebel."
Niederländisch, Englisch und Französisch
Auf dem Platz vor der Börse machen Schüler Mittagspause. Die erste Gruppe der Jugendlichen, die ich anspreche, weiß gar nichts mit dem Begriff Deutschsprachige Gemeinschaft anzufangen. Bei der zweiten wird diskutiert: "Das ist die Gegend, in der man in Belgien deutsch spricht", sagt eins der Mädchen.
"Nicht unbedingt deutsch - in Belgien sind Niederländisch, Englisch und Französisch die drei Hauptsprachen. Das weiß ich", korrigiert eine Freundin. "Aber sie sprechen auch Deutsch in Belgien", fällt ihr die erste ins Wort. "Ja, aber nicht überall", ist die Antwort. "Klar, nicht überall, aber es gibt ein Gebiet, in dem man deutsch spricht."
Ich steige die Stufen hinauf zur Citadelle. Die Mühe lohnt sich, denn in der Besucherinformation treffe ich auf Manu. Und er weiß ähnlich wie Clara und Martin am Bahnhof doch so einiges über die DG. "Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist eine der drei Sprachgemeinschaften von Belgien, neben der französischen und flämischen Gemeinschaft", sagt er. "Sie liegt in den Ostkantonen. Sehr weit weg. Die meisten Menschen vergessen, dass es sie gibt. Weil es weit weg liegt und wenige Menschen ihr angehören."
Kay Wagner