Es ist das große Wundenlecken, das gerade stattfindet. Und auch eine mediale Schlammschlacht zwischen dem Vorsitzenden des Sonderausschusses zur kolonialen Vergangenheit, Wouter De Vriendt von Groen, und dem MR-Parteivorsitzenden Georges-Louis Bouchez. Der gehörte dem Ausschuss zwar gar nicht an, aber wurde von De Vriendt indirekt so angegriffen, dass Bouchez sich genötigt sah, den Fehdehandschuh aufzugreifen.
Das war geschehen: Nach gut zwei Jahren Arbeit, zahlreichen Expertenanhörungen und sogar Reisen in die ehemaligen Kolonialgebiete hatte der Ausschuss am 13. Oktober 128 Empfehlungen verfasst und diese in einem Abschlussbericht gebündelt. Alle Mitglieder des Ausschusses - zumindest die Politiker aus den Regierungsparteien - hätten diesem Bericht zugestimmt, sagte De Vriendt gegenüber der VRT. Doch dann "habe ich Hinweise von einer Anzahl von Parteivorsitzenden, aus Kabinetten und auch aus dem Königspalast bekommen, die besagt haben, dass in dem Bericht einige roten Linien überschritten werden und eine Entschuldigung auf keinen Fall im Bericht bleiben könne."
"Entschuldigung" überschreitet rote Linie
Tatsächlich ist es dieses Wort "Entschuldigung", an dem jetzt alles gescheitert ist. Immerhin darin sind sich De Vriendt und Bouchez einig. Für den Groen-Politiker ist eine Entschuldigung "ein wichtiges, symbolisches Zeichen", wie er sagt. "Es zeigt, dass man verstanden hat, was damals passiert ist, um danach etwas Neues aufzubauen, gemeinsam in die Zukunft zu schauen und an der Versöhnung zu arbeiten."
Doch auch für De Vriendt war es kein Geheimnis, dass die Liberalen und auch die Christdemokraten in der Vivaldi-Koalition auf das Wort "Entschuldigung" empfindlich reagieren. Das war lange bekannt. Und auch als König Philippe im Juni den Kongo besucht hatte, war ja schon einmal über dieses Wort viel diskutiert worden.
Mögliche Reparationszahlungen
Für viele steht die Angst im Raum, dass eine offizielle Entschuldigung Tür und Tor für alle möglichen Reparationszahlungen öffnen würde. "Wir waren mit 99 Prozent des Berichts einverstanden", sagt deshalb auch Bouchez. "Wir haben lediglich gefordert, dass der Teil mit der Entschuldigung herausgenommen wird und stattdessen von 'tiefstem und aufrichtigem Bedauern' die Rede sein sollte. So, wie es auch der König ausgedrückt hat."
Damit wäre man auf einer Linie mit dem König geblieben, der im Kongo ja auch nur das gesagt hätte, auf das man sich in der Vivaldi-Koalition zuvor geeinigt hatte, argumentiert Bouchez. Woran sich De Vriendt allerdings besonders stört und dabei auch gerade die MR ins Zentrum seiner Kritik stellt ist, dass auch die MR-Abgeordneten im Ausschuss zunächst kein Problem mit dem Wort "Entschuldigung" im Text hatten. Sondern erst damit ein Problem bekommen haben, nachdem andere Instanzen - eben die genannten Parteivorsitzenden und sogar das Königshaus - sich eingemischt haben sollen.
Fast schon natürlich lässt Bouchez das nicht auf sich sitzen: "Es sind nicht die Liberalen, die die Einigung verhindert haben. Das sind die Grünen und insbesondere Wouter De Vriendt", kontert Bouchez. "Wouter De Vriendt genauso wie die Sozialisten haben gesagt: Wenn die Entschuldigung nicht drin bleibt, gibt es auch keinen Bericht. Es ist also klar: Diejenigen, die die Arbeit des Ausschusses zunichte gemacht haben, sind die Linken, denn sie wollten auf jeden Fall die Entschuldigung."
Erkenntnisse über die koloniale Vergangenheit
Was jetzt mit der Arbeit des Ausschusses passiert, ist noch nicht klar. Auch wenn der Abschlussbericht nicht angenommen ist, existiert er ja. Viel Wissen über die koloniale Vergangenheit wurde zusammengetragen, viele Erkenntnisse gewonnen. Es wäre erstaunlich, wenn das alles jetzt einfach wieder in der Versenkung verschwinden würde - nur wegen eines umstrittenen Wortes.
Kay Wagner
Wieso wird eine Entschuldigung automatisch mit Reparationen in Zusammenhang gebracht ? Gehören die beiden Sachen zwangsläufig zusammen ? Wer hat diesen Zusammenhang überhaupt konstruiert ?
Und wer verlangt überhaupt Reparationen ? Haben Kongo, Burundi, Ruanda jemals Forderung gestellt ? Wenn überhaupt kann solch eine Frage nur in einem bilateralen Abkommen geregelt werden. Und wie will man Reparationen berechnen ? Auf welcher Grundlage ? Ich halte die belgische Angst vor Reparationen für unbegründet.