Ein idealer Start hätte anders ausgesehen. Zunächst verzögerte sich der Beginn des Prozesses am Montagmorgen aufgrund von Problemen bei den Sicherheitskontrollen um fast eine Stunde. Anschließend stellte sich heraus, dass noch vor Prozessbeginn aus medizinischen Gründen schon die ersten zwei Ersatz-Geschworenen ausgefallen sind.
Danach schien aber zunächst alles mehr oder minder in geordneten Bahnen zu verlaufen. Abgesehen von Osama Krayem, der sich weigerte, auch nur zum Gericht zu sprechen, bestätigten alle anderen anwesenden Angeklagten ihre Identität und persönlichen Daten.
Aber später verlangte Mohamed Abrini, auch bekannt als "Mann mit Hut", das Wort – was ihm von der vorsitzenden Richterin Laurence Massart auch erteilt wurde. Abrini beklagte sich heftig über die Bedingungen seines Transports aus der Zelle im Gefängnis von Haren in das "Justitia"-Gerichtsgebäude. Man werde gedemütigt, müsse sich nackt ausziehen, bekomme eine Augenbinde und Kopfhörer aufgesetzt mit "satanischer" Musik in voller Lautstärke. Sein Blut koche deswegen, so Abrini weiter, die Angeklagten litten seit sieben Jahren unter der Rache eines Staates, der behaupte, dass es so etwas wie Rache in ihm nicht gebe. Beim Terrorprozess von Paris habe es eine derartige, erniedrigende Behandlung nicht gegeben. Wenn sich das nicht ändere, werde er bis Prozessende schweigen und keine einzige Frage beantworten.
Die vorsitzende Richterin erklärte Abrini daraufhin, dass dies nicht in ihre Zuständigkeit falle und verwies diesbezüglich an die Staatsanwaltschaft. Die beiden anwesenden Staatsanwälte ihrerseits erklärten sich ebenfalls nicht zuständig. Die Transportbedingungen seien auf Basis administrativer Gutachten beschlossen worden unter Berücksichtigung der Sicherheit der Angeklagten, ihrer Anwälte und der betroffenen Polizisten. Sie sicherten Abrini jedoch zu, seine Beschwerden weiterzuleiten.
Damit wollten sich zumindest einige Verteidiger aber nicht zufriedengeben. Sie würden bei jedem Transport bis hin zu den intimsten Körperöffnungen durchsucht, dazu die Augenbinden, die Kopfhörer mit lautem Hardrock und würden auch noch ständig geschubst, führte etwa die Anwältin von Salah Abdeslam, Delphine Paci, gegenüber der VRT aus.
Ein derartiger Übereifer schade doch nur, klagte Jonathan De Taye, der den Angeklagten Ali El Haddad Asufi vertritt. Der Ausbruch Abrinis vor dem Gericht beweise, wie sehr die Angeklagten mit ihren Nerven am Ende seien. Sie stünden doch ohnehin schon unter enormer Spannung nach einem Jahr Prozess in Paris und nun komme ein weiteres Jahr hier in Brüssel dazu. Sie wollten doch mitarbeiten und letztlich freigesprochen werden, aber sicher nicht, wenn sie solchen absolut sinnfreien Erniedrigungen ausgesetzt würden. Denn sie befänden sich doch bereits in einem Hochsicherheitsgefängnis und stellten nicht mehr die geringste Gefahr dar, so De Taye.
Er werde dem Justizminister und der Innenministerin eine "Inverzugsetzung" schicken, so De Taye während der Anhörung, um eine Änderung der Haft- und Transportbedingungen zu erzwingen. Er werde außerdem höchstwahrscheinlich auch ein entsprechendes Eilverfahren anstrengen.
Bis die Justiz darüber entscheide, was mindestens einige Wochen in Anspruch nehmen werde, werde man dann verlangen, den Terrorprozess zu unterbrechen, so De Taye. Das sei zwar nicht schön, aber schließlich seien die Behörden mit ihrem unvernünftigen Verhalten schuld an der jetzigen Situation. Er habe ohnehin das Gefühl, dass jemand mit schlechten Absichten von Anfang an versuche, den Prozess zu torpedieren.
Der Anwalt weist auch Vorwürfe zurück, dass die Verteidigung nun, wie auch schon mit den berühmt-berüchtigten Glasboxen, eine Erpressungsstrategie verfolge. Die hatten ja im Oktober schon zu einer Verschiebung des Prozessbeginns um knapp zwei Monate geführt. Das sei immer eine Frage der Perspektive, so De Taye. Die einen würden es Erpressung nennen, für die anderen sei es schlicht die Ausübung der Rechte der Verteidigung in einem Rechtsstaat angesichts nicht hinnehmbarer Dinge.
Boris Schmidt
Mein Mitleid mit den Angeklagten hält sich in Grenzen.
Das hat nichts mit Mitleid zu tun, sondern mit Rechtsstaatlichkeit, Herr Scholzen.
Ja, in einem Rechtsstaat gilt zunächst einmal die Unschuldsvermutung, das Recht auf Verteidigung und auch grundsätztliche Menschenrechte. Selbst für Untersuchungshäftlinge. Wenn ein Häftling sich nicht korrekt behandelt fühlt, bietet ihm unser Rechtsstaat die Möglichkeit, dies zu beklagen oder gar anzuklagen. Ob uns dies nun gefällt oder nicht. Genau darin liegt der Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einer Diktatur. Oder wären Ihnen kurze Prozesse lieber? Ich hege keinerlei Sympathie für mutmaßliche Mörder und Terroristen und bin dennoch froh, in einem Rechtsstaat zu leben, in dem es keine juristische Willkür und keine Wildwest-Justiz gibt. Hoffentlich!
Guten Abend Herr Leonard
Danke für die Ausführungen. Es geht doch nichts über eine sachkundige Information. 👍👍👍