Der vergangene Freitag war nicht der glücklichste Tag in der 175-jährigen Geschichte der liberalen Parteien in diesem Land. Erstmal trennte sich die OpenVLD von ihrer Haushaltsstaatssekretärin: Eva De Bleeker trat zurück, nachdem sie tags zuvor von Premierminister Alexander De Croo in der Kammer doch ziemlich zurechtgewiesen worden war. De Croo hatte ihr freundlich, aber bestimmt bescheinigt, dass sie einen "materiellen Fehler" gemacht hatte. Ohne jetzt auf die Details einzugehen: Die Staatssekretärin wurde desavouiert, was umso bemerkenswerter war, als De Bleeker eine Parteifreundin des Premiers ist.
Die Staatssekretärin war also angezählt. Als dann noch weitere mutmaßliche Rechenfehler im Haushaltsentwurf ans Licht kamen, war sie nicht mehr zu halten. Rund 24 Stunden nach der premierministerlichen Rüge im Parlament trat die 48-Jährige von ihrem Posten zurück.
Für die OpenVLD und vor allem auch für ihn selbst sei das eine schmerzliche Episode gewesen, gestand der OpenVLD-Vorsitzende Egbert Lachaert in der VRT. Eva De Bleeker sei eine Freundin und er werde sie auch weiter fördern. Ihr Rücktritt sei aber auch in ihrem eigenen Interesse gewesen. Sie wäre nämlich weiter in der Schusslinie geblieben. Es ging also auch darum, weiteren Schaden von ihr abzuhalten.
Dem einen Paukenschlag, also dem Rücktritt von Eva De Bleeker, folgte dann aber gleich der nächste. Denn mit der Wahl der Nachfolgerin hat die OpenVLD Freund wie Feind gleichermaßen überrascht. Neue Haushaltssekretärin wird nämlich Alexia Bertrand, die bislang als eine der Galionsfiguren der Brüsseler MR bekannt war. Erstmal hatte die Personalie vielleicht noch interessiertes Stirnrunzeln hervorgerufen, nach dem Motto: "Aha! Sind die Grenzen zwischen beiden liberalen Parteien inzwischen so fließend, dass sie sich schon Personal untereinander austauschen?". Aber, nein! Das Gegenteil war der Fall: Die OpenVLD hat vielmehr Alexia Bertrand abgeworben, sie der frankophonen Schwesterpartei regelrecht ausgespannt. Bestätigung vom OpenVLD-Chef in der VRT: "Alexia Bertrand ist jetzt Mitglied unserer Partei", sagt Egbert Lachaert. Zwar behält sie auch das Parteibuch der MR. Aber ihre Loyalität gilt ab jetzt der OpenVLD und dem Premierminister.
Bouchez wütend
Im fernen Abu Dhabi ist da offensichtlich einer an die Decke gegangen. Der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez hielt sich am Wochenende in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate auf, um dort dem Formel-1-Grand-Prix beizuwohnen. Und anscheinend hat er ausgesprochen wütend auf den Schachzug der Schwesterpartei reagiert. Wie man unter anderem in Le Soir und La Libre Belgique am Montag lesen kann, war das aber anscheinend durchaus beabsichtigt. Demnach hätten die OpenVLD und insbesondere Premierminister Alexander De Croo die Nase inzwischen gestrichen voll von den frankophonen Gesinnungsgenossen.
Gerade in den letzten Wochen hatte die MR keine Gelegenheit ausgelassen, um OpenVLD-Minister durch die Mangel zu drehen. In der Presse und auch im Parlament hatten frankophone Liberale ausgesprochen scharfe Kritik an den blauen Kollegen geübt. "Populistisch", nannte Egbert Lachaert im Fernsehsender RTL-TVI die Einlassungen der MR-Leute; und er setzte dann sogar noch einen drauf: "Man könnte meinen, die MR kopiert hier den Vlaams Belang". Dieser "Vlaams Belang"-Vergleich ist gerade im frankophonen Landesteil fast schon tödlich.
Man sieht es schon: Die OpenVLD hat sich also entschlossen, auch mal zurückzubeißen. Zwar rufen die Hauptakteure nach außen hin zu Besonnenheit und Einigkeit auf, doch muss man die Ereignisse der letzten Tage durchaus als einen Schuss vor den Bug des umtriebigen MR-Vorsitzenden verstehen.
Vernichtende Kritik
Der allerdings ließ sich nicht lange bitten. Schon aus dem fernen Abu Dhabi kam - wie der Frankophone sagt - "die Antwort des Hirten an die Hirtin". Auf Deutsch: MR-Chef Georges-Louis Bouchez feuerte eine regelrechte Breitseite auf die Regierung ab. "Wollen Sie die Wahrheit?", fragte Bouchez rhetorisch auf Twitter: "Es gibt kein Abkommen über die Kernenergie; Belgien ist der schlechteste Schüler in der EU in Sachen Haushalt; und es gibt keine Reaktion, nachdem ein Gefährder laufengelassen wurde, der danach einen Polizisten tötet". Das kann man nur als eine "vernichtende Kritik" bezeichnen. Und Bouchez schießt da wohlgemerkt auf eine Regierung, der er selbst angehört.
Einschränkend muss man sagen, dass die in seinem Tweet genannten Bereiche in der Zuständigkeit der OpenVLD liegen. Die Reaktionen auf diesen Tweet klammern freilich diese Nuance aus. Während der PS-Staatssekretär Thomas Dermine Bouchez als den "neuen Sprecher der Opposition" bezeichnete, appellierte eben diese Opposition, mit Namen der N-VA-Politiker Theo Francken an die MR, dieses Trauerspiel doch bitte endlich zu beenden. Schwer zu sagen, wie dieser blaue Bruderkrieg noch enden wird.
Roger Pint