Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Zeit der großen Corona-Schlagzeilen ist vorbei. Gerade erst lässt Belgien die siebte Welle hinter sich - ohne, dass das jetzt für große Aufregung gesorgt hätte. Den Impfungen sei Dank sowie der Tatsache, dass die Omikron-Variante und ihre Subtypen zwar wesentlich ansteckender, dafür aber auch deutlich weniger aggressiv sind...
Übersterblichkeit durch Corona in der ersten Jahreshälfte bei 6 Prozent
Aus den Augen, aus dem Sinn, aber nicht aus den Statistiken. Denn: Covid-19 tötet immer noch. Die Zeitung Le Soir hat die neuesten EU-Zahlen einmal aufgedröselt. Und demnach sind im ersten Halbjahr 2022 in der Europäischen Union knapp 140.000 Menschen mehr gestorben als im Durchschnitt in den Jahren 2017-2019. Das entspricht einer Übersterblichkeit von 6 Prozent. Und es besteht kein Zweifel daran, dass Covid-19 die Ursache dafür ist. Besonders deutlich sieht man das in Bulgarien und Zypern, wo die Übersterblichkeit im Februar bzw. März im Fahrwasser der Omikron-Welle 50 Prozent erreichte.
Belgien im EU-Vergleich nur halb so schwer betroffen
In Belgien hält sich das Phänomen anscheinend eher in Grenzen. In den ersten 6 Monaten dieses Jahres starben "nur" rund 1.500 Menschen mehr als im Durchschnitt der Jahre 2017-2019. Die Übersterblichkeit beläuft sich damit auf knapp 3 Prozent, ist demnach also nur rund halb so hoch wie im EU-Durchschnitt. Nach Erkenntnissen des Instituts für Volksgesundheit Sciensano ist Covid-19 derzeit nur für 4 Prozent der Todesfälle in Belgien verantwortlich.
Übersterblichkeit im ersten Coronajahr in Flandern so hoch wie nie
Das freilich war auch schon mal ganz anders. Das flämische Gesundheitsministerium hat jetzt seine abschließenden Gesundheitsstatistiken für 2020 vorgelegt, also das erste "Coronajahr". Und die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 2020 sind in Flandern etwas mehr als 70.000 Menschen gestorben. Seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 1993 war diese Zahl noch nie so hoch. Im Vergleich zu 2019 waren es ganze 8.500 Sterbefälle mehr.
Das sagt, was es sagt. Denn: Natürlich geht man davon aus, dass wegen der Vergreisung der Bevölkerung die relative Zahl der Sterbefälle zunimmt. 2020 fällt aber völlig aus der Reihe. Und die einzige Erklärung, das ist die Covid-Pandemie. Covid-19 habe zweifelsohne für eine Übersterblichkeit gesorgt, sagte in der VRT die flämische Gesundheitsministerin Hilde Crevits. Denn: Parallel zu den Covid-Toten sei die Zahl derer, die an anderen Krankheiten gestorben sind, nicht entsprechend gesunken. Es sind also schlicht und einfach mehr Menschen gestorben, als man es statistisch erwarten konnte.
Lebenserwartung in Flandern durch Corona gesunken
Rund 10.000 Flamen sind laut den Statistiken an Covid-19 gestorben. Zwar gebe es darunter Menschen, die ohnehin schon körperlich angeschlagen waren und die vielleicht kurze Zeit später sowieso gestorben wären. Für die große Mehrzahl gelte das aber nicht, sagt Hilde Crevits. Sie könne also leider nur feststellen, dass die meisten der Covid-Opfer 2020 nicht gestorben wären, wenn sie sich nicht mit Corona angesteckt hätten. Die Folge ist, dass damit auch die durchschnittliche Lebenserwartung in Flandern im Jahr 2020 einen Knick nach unten aufweist und wieder auf das Niveau von 2015 gefallen ist.
Ähnliche Lage in anderen Landesteilen zu erwarten
2020 war Covid-19 in Flandern jedenfalls die mit Abstand häufigste Todesursache. Und man darf davon ausgehen, dass diese Zahlen mehr oder weniger beispielhaft stehen für den Rest des Landes. Es gibt jedenfalls keinen guten Grund, warum das nicht so wäre, die Rahmenbedingungen waren schließlich im Wesentlichen die gleichen.
Zurück ins laufende Jahr. In den ersten sechs Monaten kann man die zu beobachtende geringe Übersterblichkeit noch im Wesentlichen auf Covid-19 zurückführen. Gerade Juli und August werden aber wohl die "Aufdröselung" etwas erschweren. Wie Le Soir berichtet, wurden im Juli rund 250 Todesfälle mehr verzeichnet als erwartet, vor allem im Zeitraum zwischen dem 8. und dem 23. Juli. Und schuld daran könnten auch die hohen Temperaturen sein, die in dieser Zeit geherrscht haben.
Roger Pint