Nach fünfjähriger Renovierung wurde das Museum Ende 2018 neu eröffnet. Mit dieser Neueröffnung wurde auch Belgiens Blick auf seine koloniale Vergangenheit in Zentralafrika neu definiert. Das Museum besitzt die angeblich weltweit größte Sammlung von Gegenständen aller Art aus Afrika. Die Übersicht über die wissenschaftliche Forschung des Africa-Museums steht im Zentrum der Arbeit von Gryseels - auch wenn das von der breiten Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wird.
Für die Ernennung von Gryseels 2001 als Leiter des damals noch „Königliches Museum für Zentralafrika“ genannten, heutigen Africa-Museums war ein wissenschaftlicher Hintergrund allerdings wichtig. Der in der Brüsseler Stadtgemeinde Uccle geborene Gryseels brachte ihn mit. Nicht nur durch seinen Doktortitel in Agrarwissenschaften, sondern auch durch seinen beruflichen Lebenslauf, den er vorzuweisen hatte. „Ich komme selbst aus der wissenschaftlichen Welt“, erzählt er. „Ich habe acht Jahre in Äthiopien zur Landwirtschaft geforscht. Danach war ich 15 Jahre verantwortlich für internationale Landwirtschaft bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen in Rom. Damit hatte ich Erfahrung in wissenschaftlicher Arbeit und Management, und ich hatte viel Erfahrung im Reformieren von wissenschaftlichen Einrichtungen.”
Gryseels: 95 Prozent der Belgier sahen Belgiens Vergangenheit im Kongo unkritisch
Dass es beim Museum einiges zu reformieren gab, war für Gryseels schon 2001 klar. „Es war deutlich für jeden”, sagt er, „der sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt hat, dass es Zeit für eine Neugestaltung des Museums war. Und das war reizvoll für mich. Auch das hat mich nach Tervuren gezogen.” Zu reformieren gab es vor allem den Blick der Belgier auf ihre Kolonialzeit. 95 Prozent der Belgier, so sagt es Gryseels, hätten Anfang seiner Zeit als Direktor immer noch geglaubt, dass alles total okay gewesen wäre im Kongo unter belgischer Herrschaft. Dass die Belgier den Kongolesen viel Gutes gebracht, viel Infrastruktur gebaut und den Leuten gut getan hätten. Das Museum sei damals Ausdruck dieser Haltung gewesen.
Das zu ändern war eine der Hauptaufgaben während Gryseels Zeit als Direktor des Museums. Hat er sein Ziel erreicht? Immerhin gibt es seit der Neueröffnung des Museums 2018 einen Raum, der sich mit der kolonialen Vergangenheit Belgiens auseinandersetzt. Aber der Raum ist zum Beispiel kleiner als der Raum, in dem die Mineralien und Gesteine ausgestellt sind, die in Zentralafrika zu finden sind.
Noch kritischerer Umgang mit der Zeit der Kolonialherrschaft ist erforderlich
Gryseels ist der erste, der kritisch mit seiner eigenen Arbeit ist. „Es stimmt: Wenn wir heute das Museum neugestalten sollten, müssten wir noch kritischer umgehen mit der Zeit der belgischen Kolonialherrschaft", sagt er. "Wir müssten noch stärker Position beziehen bei einigen Aspekten. Aber das Ganze ist ein Prozess im Wachstum, auch in Zusammenarbeit mit den Exil-Kongolesen, die hier in Belgien leben.” Die weitere Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Belgiens im Kongo, aber auch den Nachbarländern Ruanda und Burundi, ist ein Vermächtnis, das Gryseels seinem Nachfolger hinterlässt. Der ist noch nicht gefunden. Vielleicht im Dezember steht der Name fest.
Dass Gryseels trotzdem schon jetzt geht, hängt mit seinem Alter zusammen. Man habe ihn einige Jahre lang immer wieder gebeten, doch bitte noch ein Jahr dranzuhängen. Aber jetzt sei Schluss, sagt der Mann, der am 11. August 70 Jahr alt geworden ist. Was er in seinem Ruhestand vorhat? Mehr Zeit für die Familie haben, seiner Funktion als Aufsichtsrat bei der belgischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit weiter nachgehen und hoffentlich viel reisen - auch nach Afrika. Was ihn an dem Kontinent so fasziniere? „Die Lebensfreude, der Optimismus der Menschen”, antwortet Gryseels. „Egal, wie schlimm die Armut ist, egal, wie in einigen Ländern die wirtschaftliche Lage ist: Man sieht immer überall Menschen mit einer enormen Willensstärke, um das Beste aus der Situation zu machen.”
Kay Wagner