"Ich habe die Reste einer ganz wichtigen historischen Persönlichkeit in meinem Besitz. Hier, bitte schön!". Mit diesen Worten präsentierte Gerard Soete vor gut 25 Jahren einem Journalisten unter anderem zwei Zähne, die angeblich keinem Geringeren gehört haben sollen als Patrice Lumumba. Eine makabre Anekdote, ebenso stolz wie beiläufig erzählt, was auch schon Bände spricht.
Patrice Lumumba war der erste kongolesische Premierminister, nachdem das Land am 30. Juni 1960 seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Schnell hatte sich der damals 35-Jährige bei der ehemaligen Kolonialmacht Belgien und auch bei den USA unbeliebt gemacht; vor allem, weil er das aussprach, was damals keiner hören wollte. Unter anderem hatte er in Gegenwart des damaligen belgischen Königs Baudouin die Missstände und Gräueltaten unter der belgischen Kolonialherrschaft angeprangert.
Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt wurde Patrice Lumumba festgenommen und den Behörden der damals abtrünnigen Provinz Katanga übergeben. Dort wurde er unter nach wie vor nicht völlig aufgeklärten Umständen ermordet. Als offizielles Todesdatum gilt der 17. Januar 1961. Inzwischen besteht kein Zweifel mehr daran, dass Behörden und Politiker aus den USA und auch aus Belgien mindestens von der anstehenden Ermordung wussten, wenn sie nicht beteiligt waren oder sie gar in Auftrag gegeben haben.
Nach dem Tod des Mannes, der schon damals als afrikanischer Volksheld verehrt wurde, musste dessen Leiche beseitigt werden. Damit beauftragt wurde eben besagter Gerard Soete, damals belgischer Polizei-Offizier. Bevor er und sein Kollege den Leichnam in Batteriesäure auflösten, entnahm Soete angeblich eben die beiden Zähne. Einer davon wurde 2016 bei Soetes Tochter sichergestellt.
Dieser Zahn lagerte seither in der Asservatenkammer der Föderalen Staatsanwaltschaft. Bis die Familie von Patrice Lumumba an König Philippe herantrat und um die Herausgabe der Reliquie bat. Und eben das ist jetzt feierlich erfolgt.
"Endlich", sagte denn auch Premierminister Alexander De Croo. "'Endlich', dieses Wort ist heute in aller Munde. Und, wenn wir 'endlich' sagen, dann meinen wir eigentlich 'zu spät', 'viel zu spät'." Es sei nicht normal, dass die sterblichen Überreste von einem der Gründerväter der kongolesischen Nation sechs Jahrzehnte lang in Belgien geblieben sind, unter obskuren Umständen, "Umstände, die uns nicht gerade mit Stolz erfüllen".
Insgesamt gehört die Ermordung des ersten kongolesischen Premierministers ohne Zweifel zu den dunklen Kapiteln der belgischen Geschichte. Belgische Minister oder Beamte hätten vielleicht nicht die Absicht gehabt, Lumumba zu ermorden. Doch hätten sie mindestens weggeschaut, sagte De Croo sinngemäß. "Deswegen tragen diese Leute denn auch eine moralische Verantwortung für die Umstände, die zum Tod Lumumbas geführt haben."
Und für die Rolle, die die damalige belgische Regierung bei der Ermordung von Patrice Lumumba gespielt hatte, wolle er noch einmal um Verzeihung bitten. Der frühere Außenminister Louis Michel und zuletzt auch König Philippe hatten ja auch schon ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, auch für die Gräueltaten unter der belgischen Kolonialherrschaft insgesamt.
Die Demokratische Republik Kongo wurde vertreten durch den aktuellen Premierminister Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge. Der lobte den "politischen Mut" der belgischen Regierung in dieser Angelegenheit. Dieser 20. Juni 2022 werde in die Geschichte beider Länder eingehen. Beide, De Croo und Sama Lukonde, sprachen von einem weiteren Schritt hin zu einer neuen Partnerschaft zwischen beiden Ländern.
Der Sarg, der den Zahn von Patrice Lumumba enthält, soll schon am Dienstag in die Demokratische Republik Kongo überführt werden. Juliana Amato Lumumba, die heute 66-jährige Tochter von Patrice Lumumba, die so sehr auf diesen Tag hingearbeitet hatte, war ihrerseits sehr bewegt. Sie wandte sich direkt an ihren Vater: "Ich hoffe, Du bist jetzt stolz auf Deine Familie. Und jetzt wünschen wir Dir eine gute Rückreise in die Heimat".
Roger Pint
Dazu folgendes Zitat aus dem Wikipedia-Artikel "Patrice Lumumba"
"...In ihrem Schlussbericht kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass der belgische König Baudouin von den Plänen zur Tötung Lumumbas wusste und dieses Wissen nicht an die Regierung weitergab..."
Folgendes Zitat aus der französischen Wikipedia-Seite "Patrice Lumumba" :
".... Le roi Baudouin lui-même intervient (avant la mort de Patrice Lumumba), y compris en écrivant au président Kennedy, pour s'opposer à toute libération de Lumumba..."
König Baudouin war auch irgendwie beteiligt. Sehr bemerkenswert.
Auch Baudouin hatte seine Schattenseiten.