Da war sie also, die große Stunde der parlamentarischen Demokratie, am Mittwoch gegen 10 Uhr, als die Debatte zur Impfpflicht im Parlament begann. Aber so richtig nach Feiern war scheinbar keinem zumute. Und das hat sicher mehrere Gründe.
Einen dieser Gründe benannte Robby De Caluwé von der Open VLD vor Beginn der Diskussion ziemlich deutlich: "Ehrlich gesagt bin ich der Auffassung, dass die Zeit abgelaufen ist, in der eine Impfpflicht die beste Lösung hätte sein können." Eine gute Debatte also, die aber viel zu spät kommt. Die eher harmlos verlaufende Omikron-Welle scheint den Befürwortern einer Impfpflicht den Zahn gezogen zu haben.
Oder vielleicht doch nicht? Katheleen Depoorter von der N-VA gab zumindest vor der Kamera der VRT an, die Debatte ernst zu nehmen und sich eine Meinung zu der Frage erst nach Anhörung der Experten bilden zu wollen. "Uns war es wichtig, verschiedene Experten mit unterschiedlichen Meinungen anzuhören. Es macht keinen Sinn, eine Debatte mit Menschen zu organisieren, die sich schon oft und klar für oder gegen eine Impfpflicht ausgesprochen haben. Wir wollen etwas lernen", so Depoorter.
Zu lernen gab es sicher einiges bei den Vorträgen der Experten. Am ersten Tag waren ausschließlich Wissenschaftler eingeladen. Leider entstand dadurch der Eindruck, dass die Abgeordneten dem Wissen und den Bewertungen der Experten ausgesetzt waren - ohne das selbst mit eigenem Wissen abgleichen zu können.
Alles hörte man, alles schien dabei immer gut begründet durch Power-Point-Folien und mit Verweis auf die eine oder andere Statistik und Studie. Zu Beginn hielt Luc Herry als Vorsitzender der Vereinigung der belgischen Ärztegewerkschaften ein fast schon flammendes Plädoyer für eine Impfpflicht.
Für genau das Gegenteil setzte sich der zweite Redner ein, der Virologe Geert Vanden Bossche. Bezogen auf die bisherigen Impfkampagnen in der Welt sagte er: "Ich bleibe dabei, dass es ein Experiment ist. Für mich als Impfexperte mit 25 Jahren Berufserfahrung ist es unvorstellbar, dass man diese Impfstoffe massiv verbreitet hat in der Gesellschaft."
Die Abgeordneten fanden die Ausführungen so interessant, dass sie bis weit über die angesetzte Zeit mit den Experten diskutierten. Nur 20 Minuten dauerte dann die Mittagspause, bevor es weiterging. Die Immunologin Liliane Schoofs von der Universität Löwen klärte auf, dass die aktuelle Impfung nicht vor der Übertragung des Virus schütze und man sich deshalb zurecht die Frage stellen könne, ob ein Impfpass sinnvoll sei.
Aus Sicht der Kinder betrachtete Ann De Guchtenaere von der Universität Gent die Impffrage. Sie sprach eher von einem Recht der Kinder auf Impfung als von den Vorteilen einer Impfpflicht. Johan Nyts, Virologe an der Universität Löwen, erinnerte an die Erfolgsgeschichten von Impfstoffen, die vielen Menschen das Leben gerettet hätten.
In die gleiche Richtung argumentierte Emmanuel André, Mikrobiologe ebenfalls von der Uni Löwen. "Die Frage nach einer Impfpflicht ist durchaus legitim", sagte er. "Denn selbst junge Menschen werden irgendwann 50 Jahre alt sein. Jede Altersgruppe hat immer einen Vorteil, geimpft zu sein. Das muss klar sein. Aber dieser Vorteil ist auch immer verschieden."
Dann kamen wieder viele Fragen der Abgeordneten, der Austausch dauerte noch lange. Er wird an drei weiteren Tagen bis zum 4. Februar fortgesetzt, dann auch mit Experten aus anderen Berufsgruppen, was der Debatte mit Sicherheit gut tun wird.
Kay Wagner