Die mit den extremen Preissteigerungen einhergehenden zusätzlichen finanziellen Belastungen waren schon in der vergangenen Woche das ziemlich unverdauliche Menü auf dem Tisch der Föderalregierung. Nach stundenlanger Diskussion am Freitag etwa beschloss das Kernkabinett, sich auf diese Woche zu vertagen.
Bis dahin soll die föderale Energieministerin von Groen, Tinne Van der Straeten, verschiedene Möglichkeiten prüfen lassen. Premierminister Alexander De Croo hat aber drei Bedingungen postuliert: Neue Hilfen sollen zeitlich begrenzt bleiben, dürfen den Haushalt nicht zu stark belasten und müssen zielgerichtet Bedürftigen helfen.
Zwei große Optionen
Auf dem Tisch liegen zwei große Optionen beziehungsweise eine Kombination: Eine einmalige Prämie und eine Senkung der Mehrwertsteuer und Akzisen. 86 Millionen Euro pro Monat würde eine allgemeine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf sechs Prozent kosten, erklärte der föderale CD&V-Finanzminister Vincent Van Peteghem am Wochenende in der VRT.
Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang eines auch nicht vergessen: Die zeitweilige Corona-Mehrwertsteuersenkung für den Horeca-Sektor habe auch fast 800 Millionen Euro gekostet. Die OpenVLD-Staatssekretärin für den Haushalt, Eva De Bleeker, geht nach groben Schätzungen außerdem von bis zu zwei Milliarden Euro Zusatzkosten pro Jahr aus.
Eine Prämie, auch "Energiescheck" genannt, käme wohl günstiger. De Bleeker geht hier von zwischen 600 Millionen und einer Milliarde Euro jährlich mehr aus. Für so einen Schritt plädierte etwa die Groen-Vorsitzende Meyrem Almaci am Samstag. Zuvor hatte das auch schon die PS gefordert.
200 bis 220 Euro will Groen als automatische föderale Prämie an Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen auszahlen lassen. Plus gegebenenfalls weitere Erleichterungen, die regionale Abgaben betreffen.
Außerdem müsse die Maßnahme begleitet werden von einer Ausweitung des Sozialtarifs und von strukturellen Maßnahmen. Die Häuser hierzulande gehörten mit zu den am schlechtesten isolierten in Europa, hier müsse dringend etwas geschehen. Weitere Punkte seien erneuerbare Energiequellen und die Energieeffizienz.
Rekordgewinne für Energiebetriebe
Aber das Loch in der Staatskasse war ja schon vor Corona beträchtlich. Da sollen jetzt potenziell die Energielieferanten zur Kasse gebeten werden. Das betrifft vor allem zwei Bereiche: Die Kernenergie und die grünen Stromproduzenten.
Beide haben Rekordgewinne eingefahren. Das liegt zum einen daran, dass sie für die Gewinnung ihrer Energie nicht auf zum Beispiel Gas oder Öl angewiesen sind, ihre Produktionskosten also relativ unverändert geblieben sind.
Dennoch profitieren sie natürlich mit von den deutlich gestiegenen Energiepreisen auf dem Markt. Die sogenannte "nukleare Rente", die die Energiekonzerne für den Rückbau der Atomkraftwerke zahlen und die staatlichen Subventionen für grüne Energiequellen richten sich aber zu einem großen Teil nach den Preisen und damit den Gewinnen, wie sie vor der jetzigen Energiekrise zu erwarten gewesen wären.
Allein Engie Electrabel soll laut Berechnungen der PTB-PVDA so für den Zeitraum 2021-2024 einen Zusatzgewinn in Höhe von 2,6 Milliarden Euro einfahren. Die Partei forderte deshalb schon letzte Woche, dass diese Mittel zur Senkung der Energierechnungen der Bürger eingesetzt werden sollen.
Die Gewinne müssten an die Verbraucher zurückfließen, forderten auch sowohl der PS-Vorsitzende Paul Magnette als auch der föderale PS-Vizepremier Pierre-Yves Dermagne am Wochenende. Das könnte allerdings leichter gesagt als getan sein. Denn gesetzlich ist festgelegt, dass die nukleare Rente 38 Prozent des Gewinns nicht überschreiten darf.
"Knebelvertrag" mit Engie
Außerdem hat die Regierung Michel einen Vertrag mit Engie Electrabel abgeschlossen, in dem der jährliche Beitrag für Tihange 1, Doel 1 und Doel 2 auf 20 Millionen Euro gedeckelt wurde – gewinnunabhängig wohlgemerkt. Das war ein Zugeständnis, damit der Konzern die Reaktoren zehn Jahre länger am Netz lässt.
Genau das hatte die Groen-Energieministerin bereits in der Vergangenheit als "Knebelvertrag" kritisiert. Sie lässt deshalb jetzt untersuchen, ob die Regierung aus diesem Vertrag herauskommen könnte.
Auch die CREG, die föderale Energieregulierungskommission, analysiert gerade, wie hoch die zusätzlichen Einkünfte der Lieferanten sind und inwieweit diese vom Staat abgeschöpft werden könnten. Sollte sich hier eine zusätzliche Finanzierungsquelle auftun, dann rechnen Experten damit, dass die Diskussion über das Energiemaßnahmenpaket dadurch wesentlich einfacher verlaufen könnte. Was sie auch müsste, wenn die Regierung sich wie angekündigt bis Ende der Woche geeinigt haben will.
Boris Schmidt