Sechs Monate lang befand sich Minister Philippe De Backer zu Beginn der Pandemie quasi an vorderster politischer Front in Belgien - und hatte damit wohl auch recht einzigartige Einblicke in das Herz des frühen Corona-Krisenmanagements. Ein Management, das sich auch damals schon sehr oft heftigsten Anfeindungen und Kritiken ausgesetzt sah.
Seine Erfahrungen hat Philippe De Backer zu einem Buch verarbeitet mit dem Titel "Und jetzt ist Krieg - Lehren für die nächste Krise". Wie der Name deutlich macht, geht es nicht nur um einen Rückblick, sondern auch um einen Blick in die Zukunft. Abgesehen von weiteren, wohl kaum vermeidbaren Corona-Wellen befürchten viele Experten auch, dass wir irgendwann von anderen Epi- oder Pandemien getroffen werden könnten. De Backer hat sich deswegen auch damit befasst, wie sich Belgien besser für solche Krisen wappnen kann.
Das Coronavirus beweist ja immer wieder aufs Neue, dass es noch diverse Überraschungen in petto hat. Das hat De Backer damals lernen müssen, so wie es die jetzigen politisch Verantwortlichen gerade wieder lernen müssen. Wenn zum Beispiel auch die meisten Gesundheitsexperten eine neue Welle für den Herbst/Winter vorhergesagt hatten, so hatte doch niemand damit gerechnet, dass sie so heftig werden würde.
Große Unsicherheit
Es gebe in dieser Pandemie eine sehr große Unsicherheit, unterstrich De Backer am Dienstagmorgen bei Radio Eén. Das mache nicht nur den Wissenschaftlern und der Politik das Leben schwer, sondern auch der Bevölkerung. Man müsse und könne lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Die Reaktion der Politik und auch der Gesellschaft müsse darin bestehen, feste Abläufe zu schaffen. Man müsse einfach klare Prozesse haben: Wenn also Ereignis X passiert, was ist dann in der Folge zu tun.
Das passiere in Belgien auch bereits, zumindest zum Teil, betonte De Backer. Wenn die Kurven stiegen, würden bestimmte Dämme in Form von Maßnahmen aufgeworfen, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten. Abgesehen davon sieht er die viel kritisierte Jo-Jo-Politik, also den gefühlt ständigen Wechsel zwischen Lockern und Verschärfen, nicht als typisch belgisches Problem. Das gleiche sehe man auch in anderen europäischen Ländern.
Einige asiatische Länder zeigten aber, dass es durchaus auch anders gehe. Sie hätten vor Corona bereits Erfahrungen mit weniger tödlichen, aber ähnlichen Seuchen sammeln können. Das habe sie im übertragenen Sinne schon "geimpft" für die Bewältigung solcher Ereignisse. Diese Länder hätten entsprechende Strukturen und Prozesse aufgebaut. Wenn jetzt eine neue Virus-Variante auftauche, könne sehr schnell hoch- beziehungsweise auch wieder heruntergeschaltet werden. Jeder Bestandteil des Systems wisse perfekt, was er zu tun habe - und der Bevölkerung könne auch genau gesagt werden, was von ihr jeweils erwartet werde. Diese strukturierte und vor allem dadurch auch für die Menschen vorhersagbare Vorgehensweise ist für De Backer der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen.
Definitiv belgische Baustellen
Darüber hinaus gibt es dann aber noch einige definitiv belgische Baustellen, auf denen es für De Backer noch Verbesserungsbedarf gibt. Das ist zum Beispiel die schon oft bemängelte institutionelle Lasagne mit ihrem Chaos an Zuständigkeiten. Auch wenn mittlerweile schon viele Entscheidungen gemeinsam im Rahmen etwa interministerieller Konferenzen getroffen würden, so bliebe die Umsetzung doch noch immer Aufgabe der Teilstaaten beziehungsweise der föderalen Ebene. Das könne nach wie vor beim Bürger für Verwirrung sorgen angesichts der praktischen Umsetzung.
Für eine höhere Effizienz, für ein besseres Management und auch für eine bessere gesundheitliche Versorgung der Menschen müsse dieses Knäuel weiter entwirrt werden. Vorbereitung und vor allem ein koordiniertes Vorgehen und Zusammenarbeit ist aber etwas, das über die nationale Ebene hinausgehen muss, wie auch De Backer unterstreicht. Auch Europa, andere Länder und internationale Institutionen, wie die Weltgesundheitsorganisation, müssten in ein Gesamtkonzept miteinbezogen werden. Wie wenig das funktioniere, zeige doch aktuell wieder die Omikron-Variante: Viele Länder agierten auch jetzt wieder panikartig und ohne Absprache mit Partnern oder Nachbarn.
Boris Schmidt