Die Maßnahmen, die am Dienstag vorgestellt und erläutert worden sind, sind so divers, dass hier nur ein kleiner Ausschnitt beleuchtet werden kann. Zentral ist natürlich der Bereich Reformen des Arbeitsmarkts: Die flämische Arbeitgeberorganisation Voka bezeichnet diese als unzureichend. Sie glaubt nicht, dass sie ausreichen werden, um den Beschäftigungsgrad strukturell zu erhöhen. Zur Erinnerung: Das Ziel sind 80 Prozent bis 2030. Die Föderalregierung habe versucht, mit einem großen Kompromiss alle ein bisschen zufriedenzustellen. Damit sei die Arbeit nur halb erledigt und das sei wirklich schade. Die Voka begrüßt die Maßnahmen zur Erhöhung der interregionalen Mobilität von Arbeitslosen und die Abschaffung des besonderen Sozialversicherungsbeitrags. Besonders kritisch sieht sie aber die Abschaffung der Krankschreibungen für einen Tag.
Beim belgischen Unternehmerverband FEB haben die Ankündigungen laut eigener Aussage "gemischte Gefühle" hervorgerufen. Auch ihm gehen die Arbeitsmarktreformen nicht weit genug beziehungsweise greift der Staat nach seiner Meinung zu stark in die Selbstbestimmung der Wirtschaft ein. Die FEB heißt aber zum Beispiel die Einführung einer sogenannten "Energienorm" gut. Dadurch soll verhindert werden, dass die Energiekosten in Belgien stärker als in den Nachbarländern steigen. Lobenswert sei auch, dass weiter an der "budgetären Orthodoxie" festgehalten werde.
An der Krankschreibungsregelung stößt sich auch die Mittelstandsvereinigung Unizo: Sie befürchtet eine Explosion der "Montags-Abwesenheiten". Allerdings ist der Verband damit zufrieden, dass die neue Regelung nicht für kleine und mittlere Unternehmen gelten wird. Die Mittelstandsvereinigung UCM begrüßt letzteren Punkt ebenfalls ausdrücklich. Die frankophone Vereinigung lobte außerdem unter anderem die Vorteile, mit denen Arbeitslose dazu bewegt werden sollen, in Mangelberufen zu arbeiten, sowie die Regelungen für flexiblere Arbeitszeiten wie etwa eine Viertagewoche.
Die Selbstständigengewerkschaft SNI erklärte sich derweil global zufrieden mit den Plänen der Föderalregierung, vor allem weil die Reform der Krankschreibungen eben nur für große Betriebe gelte. Explizit positiv hebt die SNI, wie die UCM, die Beibehaltung der Befreiung von Sozialabgaben für Ersteinstellungen hervor und auch die Maßnahmen bei Mangelberufen. Allerdings stellt sich die SNI Fragen, wie gerade in kleinen Betrieben das neue Recht auf fünf Tage individueller Fortbildung für Arbeitnehmer umgesetzt werden soll.
Gewerkschaften sehr bedingt zufrieden
Die Gewerkschaften sind ebenfalls nur sehr bedingt zufrieden. Die sozialistische Gewerkschaft FGTB spricht von einer "verpassten Chance, den Reichtum gerechter zu verteilen". Die Entscheidungen der Föderalregierung bezüglich des Haushalts 2022 zeigten einen mangelnden Ehrgeiz bei der Suche nach Steuereinnahmen und nach Steuergerechtigkeit, so der scharfe Vorwurf. Die Gewerkschaft geißelt außerdem die Anstrengungen für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und die Sanktionen, die Langzeitkranken drohen, wenn sie nicht bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt mitarbeiten. Auch die christliche Krankenkasse beklagt, dass diese Behandlung von Langzeitkranken zu weit gehe. Das sei eine Stigmatisierung, die nicht zur Verbesserung der Gesundheit der Betroffenen beitrage.
Die liberale Gewerkschaft CGSLB fühlt sich bei den Arbeitsmarktmaßnahmen der Regierung an einen Wintereintopf erinnert, der jetzt im Herbst den Sozialpartnern vorgesetzt würde. Allerdings herrsche noch viel Unklarheit über die genauen Implikationen der Pläne für die Arbeitnehmer, hier müsse man also noch abwarten. Viele Themen müssten zudem im Nationalen Arbeitsrat weiter diskutiert werden.
E-Commerce-Sektor dorniges Dossier
Ein besonders dorniges Dossier ist auch weiterhin der E-Commerce-Sektor. Hier hatte die Regierung die Sozialpartner dazu aufgefordert, über die Möglichkeit zur Einführung von Nachtarbeit auf freiwilliger Basis zu verhandeln. Die sozialistische Angestelltengewerkschaft SETCA hat hierzu angekündigt, dass sie nur kollektive Lösungen zwischen den Sozialpartnern akzeptieren werde. In diesem Punkt sei sie nicht zu Kompromissen bereit.
Der Einzelhandelsverband Comeos kann nicht nachvollziehen, dass die Regierung bezüglich des E-Commerce-Sektors keine Maßnahmen beschlossen hat. Die Regierung habe den Ball einfach den Sozialpartnern zugespielt, aber diesbezügliche bereits zehn Jahre andauernde Verhandlungen hätten nichts gebracht und könne man nur als Fiasko bezeichnen, so Comeos. In den vergangenen Jahren habe Belgien bereits 20.000 Jobs ans Ausland verloren, weitere 20.000 drohten hinzuzukommen. Auch der flämische Unternehmerverband Voka bezeichnet es als verpasste Chance, dass die Föderalregierung das Dossier E-Commerce auf die lange Bank schiebe.
Für viel Aufsehen haben auch die Maßnahmen zur Senkung der Energierechnungen der Haushalte gesorgt. Das wertet beispielsweise die FGTB als positiven Punkt, insbesondere für Familien mit schwachem Einkommen. Das belgische Netzwerk Armutsbekämpfung ist sehr erfreut darüber, dass die Regierung den Kampf gegen Energiearmut im Haushalt für 2022 zu einer Priorität gemacht hat. Sowohl die Verlängerung des ausgeweiteten Sozialtarifs als auch der einmalige Preisnachlass auf die Energierechnung für bedürftige Haushalte seien gute Beschlüsse. Diese Schritte hat auch die Verbraucherschutzorganisation Test Achats begrüßt. Allerdings sei man enttäuscht, dass zum Beispiel keine Senkung der Mehrwertsteuer für einen Basisverbrauch an Elektrizität und Gas beschlossen worden sei. Das lasse vor allem die Mittelklasse im Regen stehen, kritisiert Test Achats.
Seit zehn Uhr heute Morgen läuft in der Kammer die Debatte über die Regierungserklärung. Hierbei haben die Oppositionsparteien die Gelegenheit, sich ausführlich zu den Ankündigungen der Föderalregierung zu äußern.
Boris Schmidt