"Jeder für sich", dieses Gesetz galt bis vor Kurzem auch noch innerhalb Europas, wenn's um Impfstoffe ging. Man erinnert sich noch an 2009, als Belgien Hals über Kopf 11 Millionen Impfdosen gegen eine neue Form der Grippe bestellte. Die Bestellung ging vorbei an allen Ausschreibungen, weil's schnell gehen musste und Belgien ansonsten schlichtweg keine bekommen hätte.
Das Problem war auch, dass das kleine Belgien in den Verhandlungen mit einem Pharma-Riesen nicht wirklich viel zu melden hatte. Regelrecht tragisch war übrigens, dass sich diese H1N1-Grippe im Nachhinein als eher harmlos herausstellte. Der Regierung wurde ihre Vorbeuge-Strategie dann auch noch vorgeworfen...
Aber, gut, das ist vorbei. In allen Belangen aber, wohlgemerkt. Jetzt verhandelt die EU-Kommission stellvertretend für die 27 Mitgliedstaaten mit den Konzernen. So auch nach der Bekanntmachung des amerikanischen Pharmaunternehmens Pfizer, das einen zu 90 Prozent wirksamen Corona-Impfstoff angekündigt hat.
Die EU-Kommission hat sich 300 Millionen Impfdosen gesichert. Das sei der - im Moment - vielversprechendste Impfstoff, sagte Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen. Sobald der Impfstoff verfügbar ist, werden wir es schnell überall in Europa verteilen. Jeder Mitgliedstaat bekommt einen fairen Anteil, abhängig von der Einwohnerzahl.
Auch hier musste schnell reagiert werden, da die Kommission noch keinen Vorvertrag mit Pfizer hatte. Dabei ist der Impfstoff noch gar nicht zugelassen.
Zuständig dafür ist die Europäische Arzneimittelagentur EMA. Deren stellvertretender Direktor ist der Belgier Noël Wathion. Die Ankündigung von Pfizer, das sei auf den ersten Blick auf jeden Fall eine gute Neuigkeit, sagte Wathion am Morgen in der RTBF.
Wobei: Die Info, wonach der Impfstoff eine 90-prozentige Wirksamkeit haben werde ist bislang noch nicht mehr als das Versprechen eines Unternehmens. Die abschließenden Daten liegen noch nicht vor. Seine Agentur warte auf den definitiven Bericht, um schnell mit der Prüfung beginnen zu können.
Man habe sich dazu entschlossen, alle verfügbaren Daten unter die Lupe zu nehmen, sobald sie vorliegen. So werde die Prozedur beschleunigt. "Aber, damit das klar ist", sagte Wathion: Das ändere nichts an der Qualität der Beurteilung. Die Standards, die wir anlegen, die bleiben dieselben.
Doch, wie unabhängig ist die EMA? Wenn die EU-Kommission schon Impfdosen bestellt hat, steht die Arzneimittelagentur dann nicht unter gehörigem Druck, das Mittel am Ende auch durchzuwinken?
Wir fällen unsere Urteile vollkommen unabhängig, versichert Noël Wathion. Wir können immer die Zulassung für ein Präparat verweigern, selbst wenn die Kommission das Mittel schon gekauft hat:
Diese Unabhängigkeit sei ganz wichtig, sagt der stellvertretende Direktor der Europäischen Arzneimittelagentur. Vor allem auch angesichts des Impfgegner-Phänomens. Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte, unabhängige und transparente Prüfung, eben um mögliche Zweifel auszuräumen.
Doch wann kann denn voraussichtlich mit dem Impfen begonnen werden? Nun, das hänge im Wesentlichen von Pfizer ab, sagt Wathion. Noch lägen nicht alle Daten vor. Aber, er gehe davon aus, dass die Zulassung gegen Ende des Jahres erfolgen kann; vielleicht liegt der Impfstoff unter dem Weihnachtsbaum.
Dann stellt sich allerdings gleich die nächste Frage: Wer wird vorrangig geimpft? Das entscheiden die Mitgliedstaaten. Nach Informationen der Zeitungen der Mediahuis-Gruppe will sich Belgien 8 Millionen Dosen des Pfizer-Impfstoffes sichern.
Das wäre nicht genug für die ganze Bevölkerung, da müssen also Prioritäten gesetzt werden. Allerdings hat Belgien schon jetzt Vorverträge mit den Firmen Johnson&Johnson sowie AstraZeneca, die ihre Impfstoffe wohl auch bald auf den Markt bringen werden.
Haben wir da am Ende nicht sogar zu viel? Nicht unbedingt, sagte der Antwerpener Vakzinologe Pierre Van Damme in der VRT. Es ist denkbar, dass sich ein gewisses Präparat für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe besser eignet als ein anderes. Es ist immer gut, die Auswahl zu haben.
Roger Pint