Jeder Tag scheint neue Rekord-Schreckensmeldungen in Sachen Ansteckungs- und Patientenzahlen zu bringen. Diese Woche ist unser Land zum am schlimmsten getroffenen Europas aufgestiegen. Die Lage ist in mancherlei Hinsicht bereits jetzt schlechter, als während der ersten Corona-Welle. Und eine Besserung ist nicht in Sicht, trotz bereits zahlreicher Einschränkungen unseres Lebens.
Es sind vor allem die Krankenhäuser, die bereits jetzt schwer unter der Last von immer mehr Covid-Patienten ächzen. Und die Szenarios, die die Gesundheitsexperten vorhersagen, falls sich die Lage nicht schleunigst bessert, kann man eigentlich nur mit den Bildern aus italienischen Krankenhäusern im Frühjahr vergleichen. Der Druck auf die politisch Verantwortlichen, noch mehr zu tun, damit die Kurven endlich wieder in eine etwas bessere Richtung gehen, ist dementsprechend enorm.
Das bekam Premierminister Alexander De Croo am Donnerstag auch in der Kammer zu spüren. Egal welcher Partei sie angehören, die Abgeordneten waren sich darin einig, dass die Lage fatal ist und dringendst gehandelt werden muss.
Catherine Fonck von der CDH legte den Finger in die ohnehin sehr offene Wunde. Während andere Länder mit viel niedrigeren Fallzahlen bereits Lockdowns einführten, trödelte Belgien weiter rum und stolpere orientierungslos umher. Das Land habe keinen Piloten und fahre gegen die Wand, kritisierte sie. Und das sei doch der Job De Croos, das Land zu lenken. Er müsse unbedingt das Steuer übernehmen. Und zwar mit starken, wirksamen und kohärenten Maßnahmen. Je länger hier gezögert werde, desto schlimmer werde die Lage und desto schmerzhafter und länger würden die notwendigen Einschränkungen werden, warnte sie.
Eile forderte auch Sophie Rohonyi von Défi. Und sie prangerte die Kakophonie rund um die Entscheidungen der verschiedenen Machtebenen an. Hier werde so viel wertvolle Zeit verplempert, die man doch nicht habe. De Croo fordere von den Bürgern etwas, was die Politiker selbst nicht hinbekämen: nämlich als Team gemeinsam gegen das Virus zu arbeiten.
Peter De Roover von der N-VA hielt sich merklich zurück. Er lobte sogar die Zusammenarbeit zwischen der flämischen und der föderalen Regierung, die am Mittwoch die Harmonisierung ermöglicht habe. Das zeige doch, dass man sich in so schwierigen Situationen wie jetzt, in denen man zusammenarbeiten müsse, koordinieren könne. Allerdings war De Roover aufgrund der sehr harschen Kritik, die sein Parteigenosse und flämischer Ministerpräsident Jan Jambon wegen seines Krisenmanagements hatte einstecken müssen, auch nicht in der besten Position, um andere anzugreifen.
Der Vlaams Belang ließ sich die Gelegenheit auch nicht entgehen, der N-VA einen Seitenhieb zu verpassen. Jambon sei ein Bruchpilot, sagte Barbara Pas vom Belang. Aber man könne Flandern dennoch nicht die Schuld in die Schuhe schieben für alle Versäumnisse der letzten sieben Monate. Der Föderalstaat habe da in vielen Bereichen die Zeit nicht genutzt. Und sei damit auch schuld an der Lage in den Krankenhäusern.
Raoul Hedebouw von der PVDA-PTB warf De Croo vor allem vor, dass nicht genug getan werde, damit sich Arbeitgeber ihren vom Virus betroffenen Angestellten gegenüber fair und korrekt verhielten.
Einheit und Klarheit
Die Verteidigung des Premiers beschränkte sich hauptsächlich auf eine Darstellung der aktuellen Lage. Er appellierte auch erneut an die Menschen, die Regeln unbedingt zu befolgen. Und sie müssten einen langen Atem haben, um die Gefahrenzone irgendwann einmal hinter sich lassen zu können. Und De Croo wiederholte auch noch einmal, was er bereits am Mittwoch in seiner Videobotschaft als Eckpfeiler der belgischen Strategie bezeichnet hatte: nämlich Einheit und Klarheit.
Die Einigkeit werde entscheidend sein in den kommenden Tagen und auch Wochen. Die Regierungen des Landes arbeiteten jetzt Hand in Hand. Und das müsse auch so bleiben, betonte De Croo. Denn nur so könne man das Virus bekämpfen.
Konzertierungsausschuss
Details oder Pläne zum Konzertierungsausschuss ließ sich De Croo trotz entsprechender Fragen keine entlocken. Allgemein und auch in der Kammer wurden hier ja oft noch strengere Maßnahmen gefordert. Ob diese allerdings kommen, und wie sie gegebenenfalls aussehen könnten, darüber kann man aktuell höchstens spekulieren.
Premierminister Alexander De Croo will sich bei einer Entscheidung über neue Corona-Schutzmaßnahmen jedenfalls auf die aktuellen Zahlen und die Empfehlungen von Experten stützen. Fakten und Zahlen seien das Einzige, auf das man sich stützen könnte, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, sagt er in der Kammer.
Unterdessen erwartet die wallonische Regionalregierung vom Konzertierungsausschuss angemessene Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus. Sollten diese nicht getroffen werden, will die Regionalregierung selbst weiter in Richtung Lockdown gehen. Das sagte der wallonische Innenminister Collignon am Donnerstag. Ähnlich hatte sich schon Ministerpräsident Di Rupo im wallonischen Parlament geäußert.
Auch immer mehr Experten und insbesondere der Gesundheits- und Pflegesektor fordern eindringlich, jetzt schnellstens die Notbremse zu ziehen. Sprich einen allgemeinen und landesweiten Lockdown zu verhängen. Sonst werde es zur Katastrophe kommen.
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