Lachaerts Zwischenbericht deute auf "konstruktive Verhandlungen über die Bildung einer Mehrheitsregierung" hin, heißt es im Kommuniqué aus dem Palast, mit dem die Verlängerung der Mission offiziell bestätigt wurde. Und seit Donnerstag ist auch bekannt, auf welche Konstellation diese Verhandlungen abzielen: nämlich auf ein Team aus Liberalen, Sozialisten, Grünen und Christdemokraten. Ein Szenario, das auch unter dem Namen "Vivaldi-Koalition" bekannt ist.
Bis Donnerstag hatte sich der Open-VLD-Vorsitzende Lachaert in sehr großer Diskretion geübt, in welche Richtung seine Bemühungen denn gehen sollten. Wohl auch, um die Verhandlungen mit den einzelnen Parteien nicht durch Voraberklärungen zu belasten. Dieses Fehlen einer klaren Richtungsansage war aber auch so manchem sauer aufgestoßen, unter anderem etwa den flämischen Christdemokraten. Die forderten Anfang der Woche eine deutliche Festlegung von Lachaert. Seit Donnerstag haben sie die.
N-VA darf nicht mitspielen
Eine klare Ansage hat aber auch jemand anders bekommen, nämlich Bart De Wever. Bei Vivaldi darf die N-VA nicht mitspielen. Für den Chef der flämischen Nationalisten ein weiterer Tiefschlag in einer Woche, die er sowieso möglicherweise am liebsten aus dem Gedächtnis streichen würde. Stichwort: die Polemik um den flämischen N-VA-Ministerpräsidenten und Ex-Innenminister Jan Jambon und was der wann über den Tod von Jozef Chovanec wusste.
Den Gesprächsfaden wolle man trotzdem nicht abreißen lassen, betonten aber sowohl Open VLD, als auch N-VA. Vielleicht ein Hinweis, dass die Beziehungen zwischen De Wever und Lachaert nicht mehr ganz so zerrüttet wie zuletzt sind.
Glücklich ist De Wever natürlich nicht über die Aussicht, in die Opposition geschickt zu werden. Flandern habe noch nie so flämisch und so rechts gewählt, die nächste Föderalregierung werde vielleicht so französischsprachig und so links wie noch nie. Das Leid Flanderns, beklagte sich De Wever auf Twitter.
Soweit sind wir aber ohnehin noch längst nicht. Die Koalitionspartner in spe haben ja alle ihre eigenen Wünsche und Bedenken. Da ist zunächst die CD&V. Die hatte bisher immer an einer Beteiligung der N-VA festgehalten, damit eine Regierung auch in Flandern eine breite Basis habe. Außerdem sitzen die Christdemokraten, genauso wie die Open VLD, mit der N-VA in der flämischen Regierung. Ein Zerwürfnis könnte also Konsequenzen haben. Dennoch gibt es gewisse Anzeichen, dass die CD&V bereit ist, sich von N-VA zu lösen. Allerdings hat die CD&V Forderungen, was die ethischen Dossiers wie Abtreibungs- und Euthanasiegesetz angeht und auch gemeinschaftspolitische Reformen.
Dann sind da die Grünen. Deren Forderungen zu Klimaschutz und Co. könnten nach Ansicht der anderen Parteien dem wirtschaftlichen Wiederaufschwung Belgiens schaden.
Und auch die Verhandlungen mit den Sozialisten gestalten sich alles andere als einfach. Wohl auch, weil sie als Basis die Zugeständnisse nehmen, die sie von der N-VA bekommen hätten. Sie fordern zum Beispiel mehr Geld für Pensionen und die Gesundheitsversorgung und eine andere Steuerpolitik. Das ist gerade für die Liberalen nicht unbedingt leicht zu akzeptieren. Außerdem sind die Sozialisten momentan etwas verärgert, weil Lachaert sich trotz der versprochenen Diskretion in den Medien über die Forderungen der Sozialisten geäußert hatte.
Konsens schaffen
Lachaert zeigte sich nach seiner Audienz beim König jedenfalls zuversichtlich. Man müsse eben einen Konsens schaffen, so Lachaert in die Mikrofone von RTBF und VRT.
Für eine Woche habe man schon viel erreicht. Auch wenn klar sei, dass es Differenzen zwischen den Parteien gebe, der gute Wille, vorwärts zu gehen, sei da. Es gebe immer sensitive Anliegen und Punkte, die für den einen oder den anderen nicht gingen. Da müsse man alle Beteiligten überzeugen. Aber mit viel Respekt für die Befindlichkeiten aller könne man eine Einigung hinbekommen, so Lachaert. Die nächsten Tage würden entscheidend sein. Er hoffe, dass man jetzt konstruktiv arbeiten könne und dann gute Nachrichten verkünden könne.
Bis spätestens 4. September muss Lachaert dem König wieder Bericht erstatten. Aber die Zeit drängt auch aus einem anderen Grund. Am 17. September läuft das Vertrauen für die Regierung von Premierministerin Wilmès aus. Und das Land befindet sich weiterhin mitten in einer Gesundheits- und Wirtschaftskrise. Da mehren sich inzwischen die Stimmen, die, falls bis dann keine Koalition steht, eine weitere geschäftsführende Regierung ablehnen und Neuwahlen fordern. Das erklärte unter anderem schon der SP.A-Vorsitzende Conner Rousseau.
Boris Schmidt