"Also, ich kann keine Krokodile erkennen. Auch nicht auf der anderen Seite der Sprachgrenze." Geert Bourgeois nimmt damit direkt Bezug auf die Aussagen seiner beider Vorgänger. "Die beiden stärksten Parteien sollten jetzt ins Wasser springen - ob sich darin nun Krokodile befinden oder nicht", hatten Didier Reynders und Johan Vande Lanotte empfohlen. Ins Wasser gesprungen sind N-VA und PS jetzt also. Geert Bourgeois und Rudy Demotte sind zu "Vor-Regierungsbildnern" ernannt worden.
Bourgeois und Demotte kennen sich sehr gut. In einem früheren Leben waren beide mal Ministerpräsidenten. Bourgeois war Ministerpräsident von Flandern, Demotte war Regierungschef in der Wallonischen Region und auch in der Französischen Gemeinschaft.
Beide zählen nicht zu den militantesten oder lautesten Vertretern ihrer jeweiligen Parteien. Beide beherrschen jeweils sehr gut des anderen Sprache. Und beide haben eigentlich nicht mehr die großen Karriere-Ambitionen. Kurz und knapp: Viel verbindet beide Männer. "Ich sehe keine persönlichen Probleme", bestätigt auch Geert Bourgeois. "Rudy und ich, wir haben ein gutes Verhältnis": Die Frage sei natürlich, sagt Bourgeois: Will man gemeinsam ins Wasser springen und wird man dann auch in dieselbe Richtung schwimmen?
Keine Spur also von irgendeiner Form von "Kroko-Phobie". Mit diesen "Krokodilen" hatten die Informatoren natürlich die zu erwartenden Schwierigkeiten gemeint. Denn jeder weiß: Zumindest rein äußerlich sind N-VA und PS wie Feuer und Wasser. In den letzten Jahren haben sich beide Parteien gerne als der "Gegenentwurf" des jeweils anderen dargestellt.
Minenfeld
Rudy Demotte redet da auch nicht um den Brei herum. Er spricht vielleicht nicht von Krokodilen, bleibt aber irgendwie doch in diesem Register: "Wir wissen, dass wir durch ein Minenfeld laufen", sagte Demotte im Anschluss an die Audienz im Palast. Beide hätten aber die Absicht zu versuchen, die verschiedenen Hindernisse zu überwinden. "Konkret: Wir wollen schauen, ob es möglich ist, die Grundlage zu schaffen für die Bildung einer neuen föderalen Koalition."
"Auf einmal?", fragt da aber ein Journalist. "Haben PS und N-VA sich nicht bislang gegenseitig ausgeschlossen? Haben nicht auch die Sozialisten jeglicher Zusammenarbeit mit den flämischen Nationalisten eine klare Absage erteilt?" Die Frage musste natürlich kommen.
"Die Situation ist, wie sie ist", antwortet Demotte sinngemäß. "Die Lage ist jetzt ganz konkret so, dass wir mit einem Wahlergebnis konfrontiert sind", sagt der PS-Politiker in fließendem Niederländisch. "Die Bürger auf beiden Seiten der Sprachgrenze haben bei der Wahl die Karten nunmal so gelegt. Jetzt haben wir also zwei große politische Familien. Und die müssen zumindest miteinander reden können und dürfen."
Um mehr als "reden" geht es im Moment auch nicht. Denn die beiden Vor-Regierungsbildner haben kein Verhandlungsmandat. Sie sind keine Unterhändler, führen nicht im Namen ihrer Partei verbindliche Gespräche über den Inhalt. Sie sollen erstmal nur versuchen, Brücken zu bauen.
Dass der Graben zwischen beiden Parteien tief ist, das wissen sie nur zu gut. Geert Bourgeois ruft die wichtigsten Knackpunkte auch gleich nochmal in Erinnerung: Haushalt, sozial-wirtschaftliche Ausrichtung, Migration, Sicherheit, Klimaschutz, Gemeinschaftspolitik, die Haltung zur EU, ... Man könnte auch gleich sagen: alles. "Klar ist der Graben tief", bestätigt Demotte. "Was aber nicht bedeuten muss, dass es unmöglich ist."
Wenn man schonmal miteinander spricht, dann wäre das zumindest ein Anfang. N-VA und PS werden im Übrigen nicht alleine am Tisch sitzen. In dem kurzen Kommuniqué das Palastes heißt es ausdrücklich, dass die übrigen Parteien, die bislang an dem Prozess beteiligt waren, weiter miteinbezogen werden sollten - neben der N-VA und den beiden sozialistischen Parteien auch die Liberalen aus dem Norden und dem Süden sowie die CD&V.
Auf die Vor-Regierungsbildner wartet in jedem Fall eine schwierige Aufgabe. Ohne Erfolgsgarantie, das Ende ist offen. Fest steht nur der nächste Termin im Palast. Am 4. November sollen Bourgeois und Demotte erstmals dem König Bericht erstatten.
Reaktionen
Es sei symbolisch wichtig, dass PS und N-VA jetzt zumindest miteinander reden wollen, sagten Sprecher von CD&V und OpenVLD. Der MR-Fraktionschef David Clarinval rief seinerseits PS und N-VA auf, ihre bisherige Dauerfehde mal beiseite zu lassen.
Ecolo nahm die Entscheidung des Palastes zur Kenntnis. Wichtig sei nur, dass es jetzt schnelle Lösungen gebe. Man stehe weiter zur Verfügung, allerdings nur für eine Koalition ohne die N-VA.
Misstöne gab es derweil ausgerechnet bei der PS selbst. Er glaube nicht an eine N-VA mit zwei Gesichtern - also an eine N-VA, die auf der föderalen Ebene plötzlich gemäßigter auftreten würde, sagte der PS-Fraktionschef Ahmed Laaouej.
Roger Pint