Wirklich konkrete Aussichten auf neue Regierungen gibt es nirgendwo, weder in den Regionen, und erst recht nicht auf der föderalen Ebene.
Trotzdem sind einige Posten neu besetzt worden. Wir haben jetzt einen neuen Vizepremier. Und das ist der CD&V-Vorsitzende Wouter Beke. Beke ersetzt seinen Parteifreund Kris Peeters, der sich in Richtung Europaparlament verabschiedet. Beke ist jetzt der CD&V-Vizepremier und ist zuständig insbesondere für Wirtschaft und Verbraucherschutz.
Das alles in der amtierenden Regierung Michel, die ja nur geschäftsführend ist. Heißt: Die Regierung überbrückt die Zeit, bis eine neue Koalition in Amt und Würden ist. Diese Regierung darf aber nur verwalten, nicht gestalten. Also, konkret darf diese Regierung keine Entscheidungen treffen, die Geld kosten würden. Heißt aber auch: Sie darf zum Beispiel keine Sparmaßnahmen beschließen.
Er sei sich seiner Verantwortung bewusst, sagte Wouter Beke in der VRT. Er übernehme schließlich einige wichtige Dossiers und das in komplizierten Zeiten. Niemand wisse zudem, wie lange diese Übergangsphase dauern werde. Ginge es nur nach ihm, dann könnte sie schnell enden, da das Land unbedingt neue Regierungen brauche.
Neuer Kammerpräsident
Es gibt aber seit Donnerstag auch einen neuen Kammervorsitzenden, nämlich den flämischen Liberalen Patrick Dewael. Der ist aber auch nur "ad interim" im Amt, also übergangsweise. Ging wirklich nur darum, einen Kammervorsitzenden zu haben, um die Zeit zu überbrücken, bis eine neue Koalition eingesetzt ist. Und doch musste man den Eindruck haben, als wäre da ein neues Staatsoberhaupt gewählt worden.
In die Wahl von Patrick Dewael ist viel hinein interpretiert worden. Dewael wurde gewählt mit breiter Mehrheit, 101 Stimmen von 150 Abgeordneten. Zwar ist die Wahl geheim, aber wenn man sich das Ergebnis anschaut, dann weiß man im Grunde, dass nur zwei Fraktionen de N-VA-Gegenkandidatin Valerie Van Peel unterstützt haben, nämlich die N-VA und der Vlaams Belang. Naja, und der eine oder andere hat darin so eine Art Omen gesehen, also quasi die Vorwegnahme einer neuen Koalition. Also: eine Koalition aus, ich zähle sie mal auf, Sozialisten, Liberalen, CD&V und den Grünen.
Patrick Dewael selbst hat das aber am Freitag in der RTBF klargestellt, nach dem Motto: "Hey Leute, wir haben nur einen Übergangspräsidenten gewählt." Also, so sagt Dewael: Das war nur eine Abstimmung über eine Person, den Kammerpräsidenten, nicht über irgendwelche politischen Inhalte. Also, hier ging es in keiner Weise um eine künftige neue Koalition.
Dennoch hat seine Wahl auch für Verstimmungen gesorgt. In erster Linie bei der N-VA, die der CD&V vorgeworfen hat, sich dieser breiten Zweckkoalition um Dewael angeschlossen zu haben. Die Zeitung De Standaard hat das mit einem schönen Bild zusammengefasst: Die Parteien müssen auf mehreren Spielbrettern gleichzeitig Schach spielen. Und das macht die Sache außerordentlich kompliziert.
Im Grunde lässt die Empörung der N-VA tief blicken - nach dem Motto: "Nur die Wahrheit tut weh". Bart De Wever und seine Partei spüren mehr denn je, dass sie isoliert sind. Der PS-Spitzenpolitiker Paul Magnette hatte den Nagel dann noch ein Stück weiter eingeschlagen: Per Twitter hatte er der OpenVLD-Chefin Gwendolyn Rutten ein Angebot gemacht. Da stand so viel wie: Bewegen wir uns nicht in Richtung einer Dewael-Koalition mit den Parteien, die regieren wollen.
Die N-VA spürt, dass die anderen Parteien jede Gelegenheit beim Schopf packen würden, die N-VA in die Opposition zu schicken. Auf der flämischen Seite ist das freilich schwieriger. Da führt an der N-VA eigentlich kein Weg vorbei. Doch signalisieren CD&V und OpenVLD der N-VA damit, dass sie nicht vorhaben, vor der N-VA zu Kreuze zu kriechen.
Flandern
Für Flandern redet Bart De Wever weiterhin mit dem Vlaams Belang. Für die kommende Woche hat De Wever jetzt aber anscheinend zumindest die CD&V wieder zu neuen Gesprächen eingeladen. Das Spiel von Bart De Wever bleibt bis zu einem gewissen Maß undurchsichtig. Er hat mit dem rechtsextremen Vlaams Belang gesprochen, und das war wohl auch eine Botschaft an die Wähler, nach dem Motto: Wir haben gesehen, dass 800.000 Flamen für den Belang gestimmt haben und wir respektieren diese Wähler. Nur haben beide Parteien zusammen keine Mehrheit. Und die beiden Partner, die am ehesten infrage kämen, die wollen nicht. CD&V und OpenVLD schließen weiter jede Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten aus.
Der Vlaams Belang wollte jetzt quasi die Brechstange anlegen. Also: Der Belang hat der N-VA vorgeschlagen, einen Block zu bilden. Dieses Zweckbündnis hätte auch einen Namen: "Forza Flandria". Beide würden gemeinsam auftreten und die anderen dann vor die Wahl stellen: Wenn er nicht mitmachen wollt, dann bildet doch eine alternative Koalition. Dass das so nicht geht, hat auch CD&V-Chef Wouter Beke klar gemacht. Er sagt: "Wenn N-VA und Vlaams Belang eine Regierung bilden wollen, dann müssen sie das tun. Man kann aber uns nicht dazu zwingen, dabei mitzumachen."
Wallonie
In der Wallonie ist die Lage aber, zumindest was die Arithmetik angeht, vergleichbar. Auch hier reden erstmal nur zwei Parteien miteinander, die ebenfalls zusammen keine Mehrheit hätten. PS und Ecolo haben am Freitag, dem zweiten Tag in Folge, die Zivilgesellschaft angehört und viel Kritik geerntet.
Die Tatsache an sich, also dass man die Zivilgesellschaft anhört, würde noch jeder akzeptieren. Da sind ja alle möglichen Leute angehört worden: Akteure aus dem Unterrichtswesen, der Journalistenverband, Kulturvereinigungen, und am Freitag dann auch die Sozialpartner und Umweltschutzvereinigungen. Das sei bestimmt nicht verkehrt, mal den gesellschaftlichen Puls zu fühlen, da ist man sich eigentlich einig. Nur: PS und Ecolo kriegen damit nicht die 3 Sitze hinzu, die sie für eine Mehrheit brauchen. Und deswegen eben die Kritik. Charles Michel sprach in der RTBF von einer "flagranten Missachtung der Demokratie und des Wahlergebnisses".
Er appelliere an das Verantwortungsbewusstsein aller, in dem Sinne, dass man an einer Koalition arbeiten müsse, die auch eine stabile Mehrheit hätte, sagt Michel. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wäre seine MR dann natürlich mit im Boot.
Föderalstaat
Auf föderaler Ebene herrscht seit einigen Tagen völlige Funkstille, nachdem PS und N-VA beide nochmal offiziell festgestellt haben, dass sie nicht miteinander reden wollen.
Am Montag werden die beiden Informatoren Johan Vande Lanotte und Didier Reynders dem König wieder Bericht erstatten. Viel werden sie da nicht sagen können. Deswegen ging auch schon das Gerücht um, dass sie hinschmeißen könnten. Möglich ist aber auch, dass der König die Mission doch noch einmal verlängert.
Roger Pint