"Ich finde es eine tolle Idee, Pressekonferenzen um zwei Uhr morgens abzuhalten" - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat trotz kleiner Augen seinen doch teilweise berüchtigten Humor nicht verloren. Neben ihm EU-Ratspräsident Donald Tusk, der ebenso geschafft aussieht.
Lange müssen sich beide diese Strapazen nicht mehr antun; beide werden nämlich ihre Posten abgeben. Doch genau das ist im Moment das Hauptproblem der EU: Personalfragen.
Donald Tusk hatte die Aufgabe, das Terrain zu sondieren. In den vergangenen Tagen und Wochen hatte er Kontakt mit allen EU-Hauptstädten – um auszuloten, welche Kandidaten für welchen Posten infrage kommen könnten und welche nicht.
Die Ergebnisse seiner Bemühungen hat er dann den Staats- und Regierungschefs unterbreitet. Das Resultat war ebenso ernüchternd wie erwartet: Es habe sich keine Mehrheit herauskristallisiert - für keinen der Kandidaten.
Die Rede ist hier in erster Linie vom Posten des Kommissionspräsidenten. Das System der Spitzenkandidaten, das unter dem Druck des Parlaments, fast aus der eigenen Initiative des Parlaments eingeführt worden war, sieht eigentlich vor, dass einer der europäischen Spitzenkandidaten, die bei der Europawahl angetreten sind, dass einer davon auch Kommissionsvorsitzender wird.
Hier fällt zunächst immer der Name Manfred Weber, der ja der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei EVP war, die ja immer noch die stärkste politische Familie im EU-Parlament ist.
Nur: Dieses System der "Spitzenkandidaten", das ist eben allenfalls "halb-offiziell". Einige Staats- und Regierungschefs sehen sich nicht daran gebunden. Das gilt in erster Linie für den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Und der gehörte offensichtlich zu denen, die am nachdrücklichsten auf der Bremse gestanden haben.
Aber Macron sagt: Wenn es keine Mehrheit für keinen der drei Kandidaten gegeben hat, dann hat das nichts, aber rein gar nichts mit Staatsangehörigkeit zu tun.
Im Klartext, sagt Macron: Er habe überhaupt kein Problem mit einer deutschen Kandidatur. Mehr noch: Wenn Angela Merkel für den Posten der EU-Vorsitzenden kandidiert hätte, dann hätte sie auf seine Unterstützung zählen können.
Es ist schlichtweg so, dass sich Macron und andere nicht in ein Korsett stecken lassen wollen. Ist das jetzt der Anfang vom Ende des Systems der Spitzenkandidaten? Naja, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dreht die Argumentation um. Für sie ist das Glas nicht halb leer, sondern halb voll.
Zurück zum Personalpoker. Wenn die Spitzenkandidaten nicht mehr als Orientierungshilfe dienen können, dann geht die Zahl der möglichen Anwärter natürlich schnell gefühlt Richtung unendlich. Die Gleichung bekommt letztlich dadurch nur noch mehr Unbekannte.
Einer kann sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es erfülle ihn mit einem gewissen Vergnügen, Amüsement, Genugtuung, gar Freude, festzustellen, dass es offensichtlich doch nicht so einfach ist, ihn zu ersetzen, sagt augenzwinkernd Jean-Claude Juncker.
Doch nicht vergessen: Der Posten des Kommissionsvorsitzenden, das ist ja nur einer von diesmal sehr vielen. Ratspräsident, Außenbeauftragte, EU-Parlamentspräsident. Zusätzlich kann auch noch der Posten des EZB-Vorsitzenden in der Waagschale landen.
Wir haben uns entschlossen, jetzt auf eine Paketlösung hinzuarbeiten, sagt Tusk: Alle Posten würden quasi gleichzeitig besetzt. Dann kann man auch die verschiedenen Gewichtungen gleich vornehmen: Den Ausgleich etwa zwischen Nord und Süd, Ost und West.
Wir sehen uns wieder Sonntag in einer Woche, sagt Tusk. Bis dahin muss das Paket geschnürt sein.
In diesem Paket könnte sich am Ende übrigens auch ein Belgier befinden. Für den Posten des EU-Ratsvorsitzenden fällt nämlich häufiger der Name des amtierenden Premiers Charles Michel.
Darauf angesprochen gibt sich Michel quasi unbeteiligt: Spekuliert werde viel. Er wolle einfach nur eine politische Rolle in Belgien spielen und in Europa. Und manchmal könne man von Belgien aus eine starke Rolle in Europa spielen.
Tiefstapeln also. Frei nach dem römischen Sprichwort: Wer als Papst in das Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus.
Roger Pint