Die frankophonen Liberalen waren vor knapp fünf Jahren ein Wagnis eingegangen: Als einzige frankophone Partei beteiligten sie sich an der Föderalregierung, zusammen mit drei flämischen Partnern, darunter die N-VA. Charles Michel hatte im Vorfeld eine Koalition mit den flämischen Nationalisten ausgeschlossen. Für die Liberalen zählte aber letztlich das Programm: "Wir haben 80 Prozent unserer Vorhaben umsetzen können", sagt Charles Michel in der Rückschau. Es war eine klassische Mitte-Rechts-Regierung, mit, als Sahnehäubchen, bekanntlich Charles Michel als Premier.
"Jobs, Jobs, Jobs", das kann man tatsächlich als das Credo dieser "schwedischen" Koalition bezeichnen: Reform der Körperschaftssteuer oder Tax-Shift - das sind nur die sichtbarsten von einer ganzen Latte von Maßnahmen, um Arbeit in diesem Land für die Unternehmen günstiger zu machen. Rund 230.000 neue Arbeitsplätze seien dadurch geschaffen worden, sagt Michel, wobei diese Zahl immer mal wieder angezweifelt wird.
Wie dem auch sei: Zu den von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zählte auch der Indexsprung, für den die Regierung, und auf frankophoner Seite eben die MR, vier Jahre lang von den linken Parteien viel Kritik einstecken musste.
Einen neuen Indexsprung werde es nicht geben, sagte Charles Michel in der RTBF. Das Gehaltsniveau habe sich dem der Nachbarländer angeglichen. "Wir wollen vielmehr da weitermachen, wo wir aufgehört haben", sagt Michel: Mit dem Tax-Shift habe man schon die Steuerlast auf Arbeit um acht Milliarden gesenkt. Doch bleibe der fiskale Druck zu hoch - und das bremse die Wirtschaft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Konkret versprechen die Liberalen neue Steuererleichterungen in Höhe von zehn Milliarden Euro. Damit würde der Nettolohn von Arbeitern und Angestellten um 1.000 Euro pro Jahr steigen.
Die Wirtschaftspolitik kann wirklich als Kernstück des liberalen Programms bezeichnet werden. Oft "ergibt" sich der Rest daraus: Etwa, wenn Michel immer wieder betont, dass die Schaffung neuer Arbeitsplätze der beste Weg sei, um die Finanzierung der sozialen Sicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten. Mehr Jobs heißt ja schließlich: mehr Menschen, die Einkommenssteuer zahlen beziehungsweise ihren Beitrag zu den Sozialkassen leisten.
"Avec le MR, c'est possible", "Die MR macht's möglich", so lautet in diesem Jahr das Wahlkampfmotto. Die Liberalen wollen eine resolut optimistische Botschaft in die Welt tragen. Das gilt auch für den Bereich Klimaschutz. Die blaue Formel lautet, grob zusammengefasst: "Stimulieren statt bestrafen"; "Anreize statt Steuern". Michel hatte das schon zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes am 1. Mai in eine griffige Parole gefasst: Er warnte vor einem "Steuer-Tsunami", ausgelöst von den linken Parteien, PS, aber vor allem Ecolo.
"Die linken Parteien kennen nur Zwingen oder Einschränken", sagt Charles Michel, der inzwischen ja wieder den Vorsitz seiner Partei übernommen hat. "Wir hingegen stehen für Entscheidungsfreiheit und Ermunterung". Und die MR sei der einzige Schutzwall gegen die linken Parteien, in dem Sinne, dass die Liberalen mehr für Wirtschaft und Beschäftigung tun würden.
Klar, Michel würde am liebsten weitermachen. Mit derselben Konstellation? In jedem Fall steht er zu der Entscheidung von 2014 und auch zu der Koalition mit der N-VA. Und auf die Frage, ob er das nochmal machen würde, sagt er im Grunde das Gleiche wie damals: Ihm sei es letztlich egal, ob er nun mit Peter, Paul oder Jakob eine Koalition eingehe. Das Wichtigste sei, dass sich seine Partei im Regierungsprogramm wiederfinden könne.
Und Michel will vor allem niemanden prinzipiell ausschließen, wie es allzu viele frankophone Parteien im Vorfeld getan hätten. Er wolle ein Brückenbauer sein, auch nach Flandern hin, mit Blick auf die Zukunft des Landes.
Roger Pint