19. Juni 2017: Benoit Lutgen zieht den Stecker aus der wallonischen Regionalregierung. Das ist zwar eigentlich fernab von der föderalen Ebene, und doch hat das Ganze zumindest auf frankophoner Seite die gesamte Politiklandschaft erschüttert.
Benoit Lutgen wollte wohl mit diesem Elektroschock eine Schubumkehr erreichen. Denn: Die CDH befindet sich in Umfragen in einem Dauertief. 14 Prozent hatten die Zentrumshumanisten bei der letzten Wahl 2014 in der Wallonie noch erzielen können, Meinungsforscher sehen die CDH seit Jahren dagegen kontinuierlich bei um die zehn Prozent.
Inzwischen hat Maxime Prévot den Vorsitz übernommen. Er personifiziert einen Neuanfang, auch in den Beziehungen zu den anderen Parteien. Dazu passt eigentlich auch der Wahlsprung: "Autrement! Maintenant!", "Anders, jetzt", wobei damit die föderale Politik gemeint sei, sagt Maxime Prévot. Dort saß die CDH ja in den letzten fünf Jahren in der Opposition. Angesichts der Bilanz der Regierung Michel, insbesondere in Bezug auf die Kaufkraft, will die CDH einen Richtungswechsel.
Die CDH sieht sich, wie ja auch die ostbelgische Schwesterpartei CSP, mehr denn je als "Familienpartei". Die Zuständigkeiten liegen hier aber eher auf der Ebene der Gemeinschaften, bzw. im weiteren Sinne der Regionen. Entsprechend fokussiert sich das knapp 350 Seiten starke Programm der CDH denn auch über weite Strecken auf die Teilstaatenebenen.
Die Ideen und Schwerpunkte für die föderale Ebene lesen sich derweil irgendwie wie eine Synthese aus Konzepten von rechts und von links. Beispiel: Auf der einen Seite wollen die Zentrumshumanisten den Unternehmergeist fördern: Selbstständige und auch kleine und mittlere Unternehmen effizienter unterstützen. Das kann auch die Senkung von Sozialbeiträgen umfassen, unter der Voraussetzung allerdings, dass - auf der anderen Seite - dann alternative Geldquellen aufgetan werden, um die Ausfälle zu kompensieren. Dies - klar -, um zu verhindern, dass die Soziale Sicherheit finanziell ausblutet. Eben: eine Zentrumspartei. Mal eher liberale Ideen, mal eher sozialistische Rezepte, nicht zu vergessen auch viele grüne Akzente in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik.
"Nicht Fleisch, nicht Fisch", könnten Kritiker jetzt sagen. "Im Gegenteil", antwortet Maxime Prévot. Wir wollen die Menschen zusammenbringen, sagt der CDH-Vorsitzende. Wir wollen im Grunde eine große Schnittmenge sein, mit dem Ziel, das Beste herauszuholen. Und das für alle Bürger, nicht nur für eine bestimmte, klar umrissene Zielgruppe. Damit können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: auf den Menschen.
"Der Mensch im Mittelpunkt", das war und ist das Leitmotiv der CDH. "Wir stehen für Vernunft und Besonnenheit", sagt Prévot.
Und genau daraus ergibt sich auch die Identität der Partei: Die CDH lehnt die Extreme ab. Wir wollen nicht das N-VA-Modell, das die MR unterstützt. Wir wollen auch nicht das PTB-Modell, das PS und Ecolo unterstützen. Wir sind der dritte Weg, sagt Prévot: realistisch, humanistisch, progressistisch.
Besonders wichtig für die föderale Ebene: Die Justiz. Das Budget der Justiz müsse in den nächsten fünf Jahren um 500 Millionen Euro aufgestockt werden. Und das mache die CDH zur Grundbedingung für eine Regierungsbeteiligung, sagte Vanessa Matz, Spitzenkandidatin im Wahlkreis Lüttich.
Die CDH dürfte dem kommenden Sonntag doch mit gemischten Gefühlen entgegenblicken. Aus unterschiedlichen Gründen haben die Zentrumshumanisten in den letzten Wochen gleich drei wichtige und populäre Kandidaten verloren: die Ex-Präsidentin Joëlle Milquet, den Staatsrechtler Francis Delpérée in Brüssel und Dimitri Fourny in der Provinz Luxemburg.
Maxime Prévot zieht einen Fußball-Vergleich: Ja, uns fehlen einige Spieler, wir verfügen aber über eine gut bestückte Ersatzbank. Und wenn er sich in aller Bescheidenheit als der Coach betrachte, nun, dann werde er versuchen, dafür zu sorgen, dass das Team ein Maximum an Toren erzielt.
Roger Pint