Das flämische Nachrichtenmagazin Knack hat Gert Peersman, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Gent, beauftragt, sich das Ganze mal anzuschauen. Peersman hat fünf Parameter untersucht (Wirtschaftswachstum, Beschäftigungslage, Wettbewerbsfähigkeit, Kaufkraft und Staatshaushalt) und sie mit anderen europäischen Ländern verglichen.
Dabei sind ihm zwei Sachen besonders ins Auge gefallen. Erstens: Die Senkung der Lohnnebenkosten hat nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen. Zweitens: Die Kaufkraft der Bürger ist zwar gestiegen, aber bei weitem nicht so stark wie in unseren Nachbarländern.
Wirtschaftswachstum
Das Wirtschaftswachstum ist während der Michel-Regierung um 6,3 Prozent gestiegen. Der Durchschnitt in der Eurozone liegt allerdings bei 8,3 Prozent, also allenfalls ein Mittelfeldplatz für Belgien.
Nur Frankreich, Italien und Griechenland sind schlechter. Angesichts der Wirtschaftslage wäre da mehr drin gewesen, sagt Ökonom Peersman. Der Grund: Die Produktivität ist in Belgien niedriger als anderswo. Und für dieses und folgendes Jahr sieht Peersman noch schwärzer. Es winkt ein vorletzter Platz.
Beschäftigungslage und Wettbewerbsfähigkeit
Jobs, Jobs, Jobs - das war das Ziel der Regierung Michel. 254.000 neue Arbeitsplätze sind es geworden Die Regierung ist stolz. Aber im Vergleich zum Rest von Europa und angesichts der guten internationalen Konjunktur der letzten Jahre ist das eigentlich zu wenig. Peersman zufolge hätten es eigentlich 290.000 sein müssen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Unternehmen zu verbessern, hat die Michel-Regierung im Grunde einiges getan: Lohnmäßigung, Indexsprung und der sogenannte Tax-Shift, also die Verlagerung der Besteuerung von Arbeit hin zu Umweltverschmutzung, Konsum und Vermögen.
Das hatte zur Folge, dass die Lohnnebenkosten weniger stark gestiegen sind als anderswo. Allerdings, sagt Peersman, hätten aufgrund der Senkung der Lohnnebenkosten eigentlich 61.000 Jobs hinzukommen müssen.
Seine Rechnung sieht wie folgt aus: 254.000 Jobs sind geschaffen worden, 290.000 hätten es sein sollen aufgrund der Wirtschaftslage, plus dann noch mal die 61.000 aufgrund der niedrigeren Lohnnebenkosten. Macht 350.000 statt 254.000. Peersman stellt also die Frage: Wo sind diese knapp 100.000 Arbeitsplätze denn geblieben?
Peersman zufolge führen niedrigere Lohnnebenkosten nur dann zu mehr Arbeitsplätzen, wenn die Unternehmen diese auch weitergeben und die Preise senken. Niedrigere Preise schaffen eine höhere Nachfrage und dafür wären dann auch mehr Mitarbeiter nötig. Was ist aber passiert? Die Preise belgischer Güter und Dienstleistungen sind stattdessen gestiegen - und zwar noch stärker als im Rest der Eurozone.
Die Unternehmen haben die niedrigeren Lohnnebenkosten einfach als Gewinn verbucht, sprich einbehalten und nicht in niedrigere Verkaufspreise umgemünzt, was die Wirtschaft angekurbelt und damit mehr Jobs geschaffen hätte. Indexsprung und Tax-Shift haben also nicht mehr Jobs geschaffen, sondern die Unternehmensgewinne erhöht.
Kaufkraft
Ein großes Thema im Wahlkampf ist auch die Kaufkraft der Bürger. Während der Michel-Regierung ist das verfügbare Einkommen der Bürger nach Abzug aller Steuern und inflationsbereinigt zwar um 4,3 Prozent gestiegen, aber das ist weniger als in der Eurozone, wo der Durchschnitt bei sechs Prozent liegt.
Gert Peersman gibt auch ein Zahlenbeispiel. Eine belgische Familie hat jährlich 1.000 Euro mehr zur Verfügung. Im europäischen Mittel sind es allerdings 2.300 Euro - mit anderen Worten: weniger als die Hälfte.
Die Kaufkraftsteigerung ist außerdem ungleich verteilt. Nur wer in den letzten Jahren einen Job bekommen hat, hat vergleichsweise mehr davon profitiert. Wer schon einen Job hatte weniger.
Haushalt
Den Haushalt hat die Regierung Michel zwar nicht wie versprochen ins Gleichgewicht gebracht, aber das Defizit immerhin etwas abgebaut.
Das ist laut Peersman aber nicht unbedingt die Leistung der Michel-Regierung. Diese habe zwar auch gespart, sonst wäre es noch schlimmer geworden, aber die Umstände waren günstig: Aufgrund der niedrigen Zinsen war Schulden abbauen billiger und die gute internationale Wirtschaftslage hat dafür gesorgt, dass mehr Menschen einen Job haben und das Steueraufkommen, sprich die Einnahmen des Staates, somit erhöht wurden.
knack/vk/mg