Der 1. Mai ist traditionell der Tag der Arbeiter, der Arbeiterbewegungen und der Parteien, die sich den Arbeitern nahe fühlen. Es war also kein Wunder, dass auch in Belgien vor allem die linken Parteien ihre Mitglieder und Gesinnungsgenossen zu Maikundgebungen geladen hatten.
Weniger traditionell ist es, dass auch rechtsgerichtete Parteien den 1. Mai feiern. Die rechts-liberale MR macht da eine Ausnahme. Sie nutzte den Tag gestern dazu, auf einem Parteitreffen gerade ihre Gegnerschaft zu linken Parteien zu unterstreichen. Gut drei Wochen vor den Wahlen ergab sich daraus ein verbales Fernduell zwischen rechts und links in der Wallonie.
Die Analysten in den verschiedenen Zeitungen sind sich am Tag drauf einig: Der erste Mai hat vor allem die traditionelle Gegnerschaft zwischen PS und MR wiederbelebt.
Zwar hielt auch die PTB ein durchaus beachtetes Maitreffen in Lüttich ab. Parteisprecher Raoul Hedebouw wetterte wie gewohnt rhetorisch gut und kräftig gegen die aktuelle Regierung und vor allem die MR. Aber im Grunde folgte das alles lediglich dem Stil, den man sowieso schon von der PTB gewohnt ist.
Ebenfalls in Lüttich fand auch ein Treffen von Ecolo statt. Aber erstens rief es kaum nationale Beachtung hervor, und zweitens haben es die Grünen immer noch schwer, sich als eigentlich linke Partei auch als Arbeiterpartei zu profilieren – vielleicht ist das auch gar nicht unbedingt ihr Ziel.
So blieb für die Analysten das Duell PS-MR – und das aus gutem Grund. Denn die PS hatte diesmal schweres Geschütz aufgefahren. Zusammen mit den Vorsitzenden der sozialistischen Krankenkasse Solidaris und der sozialistischen Gewerkschaft FGTB bildete die PS diesmal in La Louvière gleichsam eine alte Einheitsfront. Gemeinsam gegen den Klassenfeind – könnte man überspitzt sagen.
Allzuweit hergeholt ist das Vokabular dabei keineswegs. Denn auch Solidaris-Chef Jean-Claude Labille sparte nicht mit drastischen Worten, um die Politik der mitte-rechts-Regierung der vergangenen Jahre auf föderaler Ebene anzugreifen. Er sagte: "Diese Regierung aus MR und N-VA – ich sage es noch einmal, sage es immer wieder und stehe dazu – war eine Regierung, die im Namen des Staates gewalttätig und rassistisch war. Denn sie hat dazu beigetragen, dass Menschen von bestimmten Bevölkerungsgruppen dazu verurteilt sind, aufgrund einer zynischen und brutalen Politik frühzeitig zu sterben."
Weniger krass, aber auch überaus deutlich, fasste FGTB-Chef Robert Verteneuil die Arbeit der Regierung zusammen. "Die Bilanz dieser Regierung, die nach dem Willen der Unternehmensbosse gehandelt hat, ist einfach zusammengefasst: Prekarität, Prekarität, nur Prekarität."
Am diplomatischsten hörte sich dann noch das an, was PS-Parteichef Elio Di Rupo in Richtung Mitte-Rechts sagte: "Ich habe persönlich nichts gegen Bart De Wever, aber ich lehne seine Politik ab. Ich habe persönlich nichts gegen Charles Michel. Aber ich lehne eine Weiterführung seiner Politik ab."
Und dann versuchte Di Rupo, seine Truppen für die letzten Wochen des Wahlkampfs zu motivieren. "Lasst uns die Wallonie und Brüssel mit rot überziehen", sagte Di Rupo. "Lasst uns gemeinsam aufbrechen zu neuen Horizonten."
Was für den PS-Chef Di Rupo neue Horizonte sind, ist für seinen MR-Kollegen Charles Michel der Horror von gestern. Die 30 vergangen Jahre, in denen die PS zumeist an föderalen und regionalen Regierungen beteiligt gewesen sei, hätten das Land ruiniert. Michel sagte: "Diese linken Parteien, ihre Rezepte und ihr Diktat 'Zwingen und Besteuern', haben immer zu größerer Verarmung geführt, zu mehr Arbeitslosigkeit, zu mehr Schulden und vor allem zu weniger freier Entscheidung und zu weniger Emanzipation für den Bürger."
An diesen Rezepten habe die Linke nichts geändert. "Sie versprechen alles", wetterte Michel und warnte: "Ihre Kostenlosigkeit, das ist der fiskale Tsunami für die arbeitende Mittelschicht und für die Menschen, die gearbeitet haben."
Um die rote Politik zu verhindern, gebe es nur eine Möglichkeit: Nämlich MR zu wählen. "Wir, die liberale Familie sind in Wahrheit der einzige Schutz gegen die linken Parteien, die immer ausgezeichnete Idee haben, das Geld der anderen auszugeben", so Michel.
Viel gepolter also und wenig Inhalt – vor allem das brachten die Maikundgebungen. MR und PS – aber auch die PTB – haben sich noch einmal eingeschossen auf ihren politischen Hauptgegner. Argumentieren mussten sie gestern nicht. Feiertag also auch für die Parteien. Die – in Hinsicht auf die Wahlen am 26. Mai – jetzt aber wieder daran arbeiten müssen, um möglichst viele Bürger von ihren Parolen auch inhaltlich zu überzeugen.
Kay Wagner