Ratlosigkeit - das war der Tenor, der am Mittwoch im Straßburger Europaparlament herrschte angesichts der deutlichen Ablehnung des Brexit-Vertrags durch das britische Parlament. Die EU hätte zwar Stellschrauben in der Hand - zum Beispiel könnte sie von sich aus das eigentliche Austrittsdatum Großbritanniens, den 29. März, aufheben und die Frist für den Austritt verlängern -, doch dazu sehen sich die wenigsten bei der EU berufen.
"Nur die Briten selbst können ein Chaos Ende März verhindern", teilte der ostbelgische Europaabgeordnete Pascal Arimont mit. Für die EU heiße es jetzt: abwarten und Tee trinken, fügte Arimont süffisant hinzu.
Die SP.A-Europaabgeordnete Kathleen Van Brempt legt den Briten dafür nahe, eine neue Volksbefragung über den Austrittswunsch abzuhalten - "nach zwei Jahren Brexit-Debakel", wie sie gegenüber der VRT sagte.
Auf das Schlimmste vorbereiten
Der Fraktionsführer der europäischen Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, glaubt, dass nur eine Zusammenarbeit zwischen den bislang zerstrittenen Parteien in Großbritannien, zwischen Mehrheit und Opposition jetzt noch eine Lösung bringen kann - "um zu wissen, was sie denn nun wollen, die Briten, als künftige Beziehung mit der EU." Für Verhofstadt ist klar, dass eine Lösung auf jeden Fall bis zu den Europawahlen im Mai gefunden werden muss. Denn sonst drohe, das britische Polit-Chaos auch Einzug ins Europaparlament zu halten.
Eine Sicht, die Philippe Lamberts von Ecolo, Co-Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europaparlament, teilt. Eine Verlängerung der Entscheidungsfrist für Großbritannien über den 29. März hinaus hält er zwar für möglich. Aber eine "elegante Lösung" müsse vor den Europawahlen gefunden werden, sagt er. "Denn sonst besteht die Möglichkeit, dass sie, die Briten, mit uns die Europawahlen durchführen und ein paar Monate später dann weg sind. Das wäre nicht logisch."
Der CD&V-Europaabgeordnete Tom Vandenkendelaere hingegen scheint nicht mehr an eine glimpfliche Lösung zu glauben. "Ich fürchte, dass wir uns jetzt auf das Schlimmste, nämlich auf einen harten Brexit, vorbereiten müssen", sagte er schon am Dienstagabend.
Gesetzesvorschläge für ungeordneten Brexit fast fertig
Eine Sicht, die die Föderalregierung teilt. Zumindest kam sie am Mittwoch zusammen, um alles in die Wege zu leiten, um auf einen harten Brexit, also einem Brexit ohne vertragliche Regelungen, vorbereitet zu sein.
Premierminister Charles Michel fasst die Sitzung danach mit folgenden Worten zusammen: "Wir müssen uns an die neuen Gegebenheiten anpassen, uns vorbereiten und die verschiedenen Szenarien in Betracht ziehen. Im Falle eines 'harten' Brexits, der jetzt immer wahrscheinlicher geworden ist, müssen wir darauf achten, bereit zu sein, auf den Knopf drücken zu können, damit Gesetze, Regelungen und finanzielle Mittel bereitstehen."
Schon am Freitag sollen konkrete Maßnahmen im Ministerrat verabschiedet und dann dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden.
Es geht um Vorkehrungen für den Zoll, für die Nahrungsmittelagentur Afsca und die Ministerien für Wirtschaft und Beschäftigung.
Für den Zoll sollen weitere 245 Mitarbeiter eingestellt werden. Bereits letztes Jahr hatte die Regierung beschlossen, das Personal um knapp 150 Beschäftigte aufzustocken. Die Hälfte davon ist bereits im Dienst, die andere Hälfte nimmt die Arbeit in den kommenden Wochen auf.
Bei der Afsca sollen 115 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden. Außerdem ist eine Hotline geplant, um Fragen von Unternehmen zu beantworten.
In Sachen Soziale Sicherheit und Gesundheitsvorsorge sollen Briten in Belgien alle Rechte und Ansprüche behalten. Allerdings nur, wenn das auch für belgische Einwohner in Großbritannien gilt.
Nur jedes fünfte Unternehmen vorbereitet
Die Regierung hat aber vor allem Unternehmen im Visier, die Handel mit Großbritannien betreiben. Sie könnte ein "harter" Brexit besonders hart treffen. Denn das würden automatisch wieder Zollprozeduren bedeuten. Und nur jeder fünfte Betrieb in Belgien ist auf so ein Szenario angeblich vorbereitet.
Deshalb gibt sich die Föderalregierung für diese Unternehmen scheinbar besonders viel Mühe. Schon am Mittwoch sagte Finanzminister Alexander De Croo: "Wir haben heute beschlossen, pro-aktiv eine Zollnummer an alle Unternehmen zu vergeben, von denen wir wissen, dass sie Handel mit Großbritannien führen. Wir werden auch ab kommender Woche die 5.000 größten von ihnen anrufen, um ihnen zu erklären, welche Dinge sie tun müssen."
Seitens der Unternehmen ist diese Hilfe der Regierung durchaus willkommen. Wobei Pieter Timmermans, Chef des belgischen Unternehmerverbandes FEB, die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben hat, dass doch noch eine Lösung für den Brexit gefunden wird. "Unsere Unternehmen sind an Zoll-Prozeduren seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gewöhnt. Die ganze Situation in Großbritannien bedeutet, dass wir uns auf das Schlimmste vorbereiten müssen. Aber ich hoffe immer noch, dass in Großbritannien der gesunde Menschenverstand zurückkehren wird", sagte Timmermans.
belga/km/kw