Soviel vorweg: Gewonnen haben sie alle. Natürlich! Das sagen sogar die Parteipräsidenten, die im selben Moment schon Schaufel und Besen in der Hand haben, um die Scherben aufzukehren. Nur Gewinner also, wobei der eine oder andere Leitartikler da schon die Hoffnung äußerte, dass gewisse Parteichefs ihre eigenen Aussagen hoffentlich nicht uneingeschränkt glauben - ansonsten droht ihnen nämlich in sieben Monaten ein Totalschaden.
Natürlich versteckt man sich da auch gerne hinter der Feststellung, dass Kommunalwahlen eben von Natur aus lokal sind; und dass sie entsprechend nur bedingt Rückschlüsse zulassen auf die höheren Ebenen. Der eine oder andere könnte aber sein Ergebnis vom Sonntag zumindest als "Warnschuss" verstehen.
Warnschuss für Sozialisten und Liberale
Das gilt in erster Linie für die Sozialisten. Die PS hat zwar nicht die Apokalypse erlebt, die ihr vor einem halben Jahr noch die Umfragen vorhersagten. Die Hochburgen konnten im Wesentlichen gehalten werden. Die zum Teil zweistelligen Verluste müssen sich dennoch anfühlen wie eine Ohrfeige. Bei den flämischen Kollegen von der SP.A sind die reinen Stimmeneinbußen zwar nicht ganz so sichtbar, sie haben allerdings gleich eine Reihe von symbolträchtigen Rathäusern verloren.
Ein ähnliches Fazit ist auf die frankophonen Liberalen MR anwendbar. Das Ergebnis ist zwar in der Summe nicht wirklich schlecht, überschattet wird aber die Bilanz durch den Verlust mehrerer Bürgermeisterschärpen in Brüssel. Und die Liberalen betrachteten die Hauptstadt eigentlich immer so ein bisschen wie einen Steigbügel mit Blick auf die föderale Ebene. Deswegen trübt der Denkzettel in Brüssel denn auch so nachhaltig die Bilanz.
Aus flämischer Sicht kann man jedenfalls mindestens den Eindruck haben, dass die MR auch schonmal fitter war. Einige Leitartikler glauben, dass insbesondere N-VA-Chef Bart De Wever so denken könnte. Denn dann sind wir eben wieder auf der föderalen Ebene. Die MR ist ja schließlich im Moment der einzige frankophone Partner in der föderalen Koalition. Heißt: Ob eine Neuauflage der Regierung Michel im kommenden Jahr möglich sein wird, hängt in nicht unerheblichen Maße vom Abschneiden der MR bei den Parlamentswahlen ab.
Hoch der Grünen
Wer den vergangenen Sonntag als Barometer betrachtet, der kann noch einen zweiten, sagen wir, "makropolitischen" Trend erkennen: das Hoch der Grünen. Die Schönwetterzone lag am Sonntag über dem ganzen Land. Am stärksten schien die grüne Sonne in Brüssel, wo Ecolo zusätzliche zwei Rathäuser erobern konnte.
Beide Entwicklungen, das mäßige Ergebnis der MR und eben der Aufwind für die Grünen, beides mag erklären, warum N-VA-Chef Bart De Wever mit Blick auf seine Antwerpener Stadtratsmehrheit plötzlich eben diese Grünen umbuhlt. Beobachter in Flandern glauben, dass De Wever die grüne Karte in sein Blatt aufnehmen möchte, um Mitte nächsten Jahres mehr als eine Option zu haben.
Extreme legen zu
Neben dem grünen Aufwärtstrend ist aber auch noch eine andere Entwicklung unverkennbar: Überall im Land legen die Extreme zu. In Flandern darf sich der rechtsextreme Vlaams Belang eindeutig zu den Gewinnern zählen. In der Wallonie und in Brüssel hat die marxistische PTB den Wind in den Segeln. Der Vergleich hört hier aber auf. Oder vielleicht doch nicht?
Um den Vlaams Belang gibt nach wie vor so eine Art Bannmeile: der "Cordon sanitaire". Alle demokratischen Parteien haben sich dazu verpflichtet, keine Koalition mit Rechtsradikalen einzugehen.
So weit, so gut, könnte man sagen. Nur gibt es in Flandern Leute, die eine solche Bannmeile auch um die PTB ziehen würden. In manchen Augen sind Extremisten eben Extremisten. Und die PTB hat sich nie wirklich ausdrücklich von ihrer stalinistischen Vergangenheit losgesagt. Und selbst im Hier und Jetzt gibt es da noch Sympathien für undemokratische Regime wie etwa das in Venezuela.
Cordon sanitaire
Rik Torfs, früher mal Rektor der Uni Löwen und Senator für die CD&V, warnte denn auch in dieser Woche in der RTBF davor, dass der Umgang mit der PTB im frankophonen Landesteil Nebenwirkungen in Flandern haben könnte. Wenn die PTB an Koalitionen beteiligt werde, dann könnte sich der eine oder andere quasi im Umkehrschluss den Cordon sanitaire infrage stellen.
Dieser Vergleich sei doch ein Skandal, wetterte später der PTB-Sprecher Raoul Hedebouw. Schützenhilfe bekam er sogar von der PS, die die PTB ja eigentlich als unliebsame Konkurrenz betrachtet. Sie habe zwar auch ihre Probleme mit dem Demokratieverständnis bei der PTB, sagte etwa Laurette Onkelinx. Man könne der PTB aber nicht ein gestörtes Verhältnis zu den Menschenrechten bescheinigen. Die Partei sei deshalb keinesfalls mit dem Belang gleichzusetzen.
Ob mit oder ohne PTB ist der Cordon sanitaire diesmal ohnehin brüchig geworden. Die Kommunalwahl könnte vielleicht am Ende deshalb in die Geschichte eingehen, als die Wahl, die den Cordon saniaire hat reißen lassen.
Roger Pint