"Die N-VA gegen den Rest der Welt" - was im ersten Moment fast schon dramatisch klingt, das ist eigentlich genau die Rolle, in der sich die Nationalistenpartei am wohlsten fühlt. Chefstratege Bart De Wever weiß ganz genau, dass man beim Wähler punkten kann, wenn man sich gegen die traditionellen Parteien - gegen das "Establishment" - stellt. Frei nach der Maxime: Viel Feind, viel Ehr.
Genau das passt derzeit zum N-VA-Asylstaatssekretär Theo Francken. Der Mann stand zuletzt in der Kammer fast ganz alleine da. Hintergrund ist immer noch die Polemik um die abgeschobenen Sudanesen. Die Migranten hatten angegeben, nach ihrer erzwungenen Rückkehr in ihre Heimat gefoltert worden zu sein. Nicht nur die linke Opposition ging daraufhin auf die Barrikaden, auch vom Koalitionspartner CD&V gab es fast schon vernichtende Kritik.
Hinzu kam dann aber noch das Verhalten von Theo Francken. Erst hatte er Aussagen, die Premier Michel in diesem Zusammenhang gemacht hatte, als "absurd" bezeichnet, und dann belog er auch noch den Regierungschef über eine bevorstehende Ausweisung. Respektloser geht kaum. Für viele war da schon das Maß voll.
Warnungen ignoriert
Über Weihnachten wurde dann bekannt, dass Francken von seiner Verwaltung ausdrücklich vor Ausweisungen in den Sudan gewarnt worden war. "Wieder ein neues Element also", stellte der CD&V-Vizepremier Kris Peeters fest. Nun, das könne ja dann noch mit in die Untersuchung einfließen, die unter der Ägide von Innenminister Jan Jambon durchgeführt wird.
Besagte Untersuchung soll insbesondere klären, ob die Sudanesen tatsächlich gefoltert wurden. Die Ergebnisse werden schon im Januar erwartet. "Und bis dahin sollte man sich tatsächlich mit Kommentaren zurückhalten", empfiehlt auch die OpenVLd-Vorsitzende Gwendolyn Rutten. Wobei es neben dem Inhalt ja auch die Form gebe. "Jeder Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aber der provozierende Kommunikationsstil von Theo Francken, das ist nicht mein Ding."
Auch bei der MR, die bislang immer noch zu Francken gestanden hatte, scheint man derweil die Geduld zu verlieren. In der Zeitung L'Echo sind beim einen oder anderen frankophonen Liberalen alle Dämme gebrochen. Das gilt zum Beispiel für das Urgestein Gérard Deprez: "Dass Belgien Migranten in den Sudan ausgewiesen hat, dass Francken mit einer Diktatur zusammengearbeitet hat, nun, für ihn und auch für viele MR-Wähler sind damit die Grenzen des Erträglichen erreicht", wird Deprez zitiert. Ein nicht genannter Liberaler fügt hinzu: "Francken? Mit einem solchen Klotz am Bein können wir nicht uns nicht den Wählern präsentieren."
Richard Miller, ebenfalls graue Eminenz der Blauen, versuchte die Wogen zumindest etwas zu glätten. Er glaube nach wie vor an diese Regierung, wobei er natürlich einsehe, dass es da in der Asylpolitik gerade ein Problem gebe. Und, ja, er warte auch auf die Ergebnisse der Untersuchung.
Francken ist zwar ein geübter Provokateur. So groß war der Druck aber noch nie. Wobei: Der Unterstützung seiner Partei und insbesondere von Bart De Wever kann er sich sicher sein.
De Wever gegen Atomausstieg
Als wäre das alles nicht genug, hat auch eben dieser De Wever wieder eine Lunte angezündet. In der Zeitung Het Nieuwsblad bekräftigte er noch einmal seinen Widerstand gegen den Energiepakt und insbesondere den Atomausstieg. Er wolle erst glaubhafte Alternativen sehen. Er wolle nämlich verhindern, dass der Strompreis durch die Decke geht.
"Ach so, da schmeißt De Wever also mal eben das Regierungsabkommen in den Mülleimer", reagiert pikiert die OpenVLD-Chefin Gwendolyn Rutten. Über den Atomausstieg könne gar nicht diskutiert werden. Das stehe schließlich so im Gesetz, inklusive der Daten, an denen die einzelnen Reaktoren vom Netz gehen sollen. "Nur über meine Leiche", scheint aber der N-VA-Chef zu antworten.
Unter dem N-VA-Tannenbaum scheint also eine Brechstange gelegen zu haben. Da mag es fast so aussehen, als wäre was dran an den Gerüchten, dass die N-VA am liebsten jetzt Neuwahlen ansetzen würde. Demnach würde es jetzt also nur noch darum gehen, die anderen dazu zu bringen, den Stecker zu ziehen.
Roger Pint
Einiges mag ja richtig sein in Ihrer Analyse oder Ihren Vermutungen. Allerdings, was den Beginn der "Krise" angeht, so sehe ich das ein wenig anders.
Am Mittwoch Abend verkündete der Premier anscheinend im RTBF dass, bis zur Klärung der Foltervorwürfe, keine Soudanesen mehr ausgeliefert würden. Dies wiederholte er am Donnerstag in der Fragestunde des Parlaments (bitte ansehen!).
Darauf verliess Francken die Kammer und während der Premier viel Aplaus erhielt, so auffälligerweise keinen von der NVA. Dies bedeudet wohl dass diese Aussage nicht mit dem zuständigen Staatssekretär und mit der NVA abgesprochen war, immerhin mit dem stärktsten Koallitionspartner. Die Aussage die Massnahme sei absurd und die Diskussion ob eine geplante aber abgesagte Ausweisung noch immer geplant sei sind nur Nebenschauplätze. Das Problem, meiner Meinung nach, ist die Aussage des Premiers die nicht in der Regierung mit dem Partner abgesprochen wurde, und da zeigt die NVA die Zähne.