Die Gespräche am Dienstag zwischen MR und CDH müssen sehr positiv verlaufen sein. Die beiden Parteipräsidenten sagten am Dienstag nichts anderes. Und MR-Präsident Olivier Chastel erweckt am Mittwoch den Eindruck, dass er plötzlich Oberwasser hat. Nicht nur, dass er den heutigen Mittwoch als Tag der Medienpräsenz gewählt zu haben scheint: Neben einem ausführlichen Interview mit der Tageszeitung Le Soir war Chastel am Mittwochmorgen auch Gast in der Radiosendung Matin Première und wird zu den Abendnachrichten erneut in den Studios der RTBF erwartet.
Nein, nicht nur in den Medien scheint Chastel plötzlich das Bild des starken, omnipräsenten Politikers geben zu wollen. Auch inhaltlich beansprucht er plötzlich die Führung. Er setzt Themen, stellt Forderungen, sagt, wie es laufen soll. Und nicht alles, was er sagt stößt auf Gegenliebe bei den Partnern, mit denen Chastels MR vielleicht zusammenarbeiten müsste.
Zum Beispiel Chastels Äußerungen zur Erneuerung des Politikstils. Da sagte er am Mittwochmorgen: "Der Politikstil ist sehr wichtig. Wir müssen da so weit wie möglich gehen, und wenn möglich alle zusammen. Aber die Menschen in der Wallonie und in Brüssel erwarten nicht nur eine Änderung des Politikstils. Das kann keine Voraussetzungen für Verhandlungen sein."
Ecolo gibt MR eine Abfuhr
Doch genau das, die Änderung des Politikstils vor allen inhaltlichen Debatten um konkrete politische Entscheidungen, war Ecolo sehr wichtig. Ecolos Co-Präsidentin Zakia Khattabi machte das deutlich. Gefragt, was sie von der Äußerung Chastels halte, sagte sie: "Ich spreche nicht von Voraussetzung. Ich spreche von einer Notwendigkeit und einer Priorität hinsichtlich des Politikstils. Ich bemühe da gerne folgendes Beispiel: Man kann kein Haus auf einem Fundament aufbauen, dass völlig marode ist." Also, Schnupfen bei den Grünen in Brüssel.
Gleiches Bild am Mittwoch bei den Parteikollegen in Namur. Grund: wieder die MR. Auch hier geht Chastels Partei plötzlich in die Offensive und macht Vorschläge gerade zu dem sensiblen Thema der Ämterhäufung. Vor wenigen Monaten hatte sich das wallonische Parlament ja nach langem hin und her auf neue Regeln geeinigt, die die Möglichkeit der Ämterhäufung auf eine geringe Zahl von Abgeordneten beschränkte. Jetzt, wohl mit der Aussicht, bald in Namur das Sagen zu haben, preschte die MR mit einem neuen Vorschlag vor: Alle Abgeordneten, die gleichzeitig Bürgermeister oder Schöffe einer Gemeinde mit weniger als 50.000 Einwohnern sind, dürfen sehr wohl zwei Mandate ausüben.
CDH und PS finden es grundsätzlich okay, über die Aufweichung der bestehenden Regeln zu sprechen. Ecolo hingegen - wer hätte es gedacht - nicht. Die Grünen scheinen sich also zu entfernen von der MR - und plötzlich wieder Gemeinsamkeiten mit der PS zu sehen.
Di Rupo bezeichnet Gespräch mit Ecolo als "konstruktiv"
Die Präsidenten beider Parteien sprachen am Mittwoch miteinander, und zeigten sich nach den Gesprächen positiv überrascht. Ecolo-Co-Präsident Patrick Dupriez sprach von einer konstruktiven Haltung der PS. Und auch PS-Präsident Elio Di Rupo sagte: "Das war sehr konstruktiv. Wir haben die gleichen Sorgen." Die Parti Socialist hält am Sonntag einen Kongress zum guten Politikstil ab, mit einer ganzen Reihe von Vorschlägen, die denen von Ecolo ähnlich sind.
Und dann erlaubte sich Di Rupo noch einen Seitenhieb auf die MR und die plötzliche Offensive von Chastel. Zu beobachten sei: Zunächst habe man die Fragen des guten Politikstils angesprochen. Jetzt spricht man schon von etwas Anderem, hat sich auf das Feld der Politik begeben. Die MR kann es nicht ertragen, dass die CDH eine Diskussion vorgibt und bestimmt.
Klar scheint jedenfalls am Ende dieses Tages: Die MR hat es am Mittwoch schwerer als am Dienstag, ihren Traum von einer Regierungsbeteiligung sowohl in den Regionen Brüssel und Wallonie als auch in der Französischen Gemeinschaft zu verwirklichen. Mit ihrem neuen Anspruch und ihren politischen Forderung hat sie nicht nur den nötigen Partner Ecolo verschnupft, sondern auch einen weiteren möglichen Partner, nämlich Défi. Deren Präsident, Olivier Maingain, kann sich gar nicht vorstellen, der verlängerte Arm der Föderalpolitik zu sein, wo die MR ja mit in der Regierung sitzt.
Chastel hingegen findet das eine gute Idee. Klar, die MR überall an der Macht. Die Zeitung Le Soir sprach am Mittwoch von einem perfekten politischen Orgasmus, den die Liberalen dann erleben würden. Noch ist es aber nicht soweit.
Kay Wagner - Bild: Thierry Roge/BELGA