Die Uhr tickt. Am Freitag muss Belgien eigentlich seine Entscheidung zum Freihandelsabkommen Ceta bekanntgeben; heißt also: bleibt es beim Nein der Wallonie, dann kann Ceta nicht unterzeichnet werden. "Ich lasse mich jetzt aber nicht in ein Zeitkorsett zwängen", machte der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette klar. "Wenn wir die Bedenken des Parlaments und der Zivilgesellschaft ernst nehmen wollen, dann dauert das die Zeit, die es dauert." Das sagte Magnette in der RTBF, nachdem er mit der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström gesprochen hatte.
Sprich: Das Schlichtungsgespräch hat im Grunde nichts geändert. Magnette hatte dabei der schwedischen Kommissarin noch einmal die Bedenken der Wallonie dargelegt. Er sei ja nicht prinzipiell gegen Freihandel, unterstrich der PS-Politiker. Allerdings müssten die Bedingungen stimmen.
"Wir haben in Belgien ein Sozialsystem, wir haben Umweltschutznormen", sagte Magnette in den RTBF-Abendnachrichten. Ceta hebele diese Prinzipien vielleicht nicht aus, es gebe da aber doch Unklarheiten, schwammige Formulierungen. Und solange es diese Unklarheiten gibt, solange bleibt die Wallonie eben bei ihrer Haltung. "Wenn die Kommission schnell arbeitet und entsprechende Korrekturen vorschlägt, dann kann das Problem quasi 'übers Wochenende' gelöst werden; ansonsten dauert's eben länger."
Einer gegen 27
Der Mann, der letztlich die belgische Entscheidung zu übermitteln hat, das ist Außenminister Didier Reynders. Und der MR-Politiker kann sein Kopfschütteln angesichts der wallonischen Blockadehaltung kaum verbergen.
Erstens, so sagte Reynders am Donnerstagmorgen im RTBF-Rundfunk: Die EU-Kommission habe vor sieben Jahren ein Verhandlungsmandat von allen Mitgliedstaaten bekommen - und seinerzeit waren in Belgien eben die Parteien am Drücker, die jetzt in Namür mit dem Fuß auf der Bremse stehen. Und alle seien sich einig, dass die EU-Kommission sich strikt an das Mandat gehalten habe... Und während des gesamten Verhandlungsprozesses habe er die Einwände, die da jetzt in Namür formuliert würden, nicht gehört. Danach sei das Ganze noch einmal erklärt und erläutert worden - mit dem Resultat, dass 27 EU-Staaten inzwischen grünes Licht für eine Unterzeichnung und ein provisorisches Inkrafttreten gegeben haben, oft seien es die Parlamente gewesen.
"Einer gegen 27 - das ist die Situation, die uns blüht", warnt Reynders. Und da sollte man aufhören, den Menschen Horrormärchen aufzutischen. Beispiel: Ceta beinhalte keine totale Öffnung der EU-Märkte für landwirtschaftliche Produkte. Erstens: Die EU-Normen bleiben natürlich in Kraft. Es wird etwa kein Hormonfleisch eingeführt. Und zweitens: Die Importe sind gedeckelt: etwa beim Rindfleisch darf Kanada den Gegenwert von 0,5 Prozent des EU-Marktes importieren. Da könne man doch nicht behaupten, dass der europäische Markt "überschwemmt" werde.
Keine innerbelgische Krise riskieren
Außerdem behalten die Staaten und auch die EU das Recht, neue Gesetzgebungen zu beschließen. Zu behaupten, die Konzerne würden ab jetzt die Gesetze schreiben, das entbehre jeder Grundlage. Und noch etwas, sagt Reynders: Wenn Ceta nicht zustande kommt, dann hört dafür ja nicht jeglicher transatlantischer Handel auf. Dann gelten eben nur die bisherigen Regeln und die sind mitunter deutlich weniger vorteilhaft.
Auch Flanderns Ministerpräsident Geert Bourgeois hat der PS in der Sache "ideologische Scheuklappen" vorgeworfen. Bourgeois kritisierte, dass die frankophonen Sozialisten jahrelang Zeit gehabt hätten, um sich mit den Inhalten des Freihandelsabkommens auseinanderzusetzen. Wörtlich sagte der flämische Regierungschef in einem VRT-Interview: "Die Wallonie führt offenbar lieber Waffen nach Saudi-Arabien aus als Äpfel und Birnen nach Kanada."
Nur: Wenn er auch für Ceta ist, ebenso wie die Flämische Region, dann will Reynders dafür doch keine innerbelgische Krise riskieren: Er respektiere die Verfassung, sagt Reynders. Eine belgische Unterschrift gibt es nur, wenn alle Teilstaaten "Ja" gesagt haben.
Tusk: "Ceta könnte letztes Handelsabkommen sein"
EU-Ratspräsident Tusk hat davor gewarnt, dass CETA das letzte Handelsabkommen der Europäischen Union sein könnte. Unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel sagte Tusk, wenn es nicht gelinge, die Bürger in Europa vom Nutzen solcher Handelsvereinbarungen zu überzeugen, werde es nach dem Abkommen mit Kanada wohl keine weiteren mehr geben.
Er hoffe aber, so Tusk, dass die noch laufenden Verhandlungen mit der Wallonie zu einem guten Abschluss gebracht werden könnten.
vrt/rop/mh - Archivbild: Nicolas Maeterlinck/BELGA
So verständlich die CETA-Ablehnung ist, so gibt diese Situation doch zu denken. Es ist eigentlich ein Unding, dass regionale Parlamente internationale Verträge blockieren können. Solche Auseinandersetzungen müssen vor einem Verfassungsgericht ausgetragen werden wie in Deutschland. Man stelle sich mal vor : alle Parlamente ausser dem PdG hätten zugestimmt. Dann wäre aber was los in Belgien.
Das Funktionieren des Staates steht auf dem Spiel. Und noch schlimmer, Belgien verliert international an Vertrauen. Angenommen CETA würde in Kraft treten ohne Belgien, so hätte das in der Realität wenig Auswirkungen. Dann kommen die CETA-Waren eben über einen Nachbarstaat, werden dort umdeklariert und kommen aber nach Belgien, Binnenmarkt sei dank.
Zusatzinfo: Für morgen halb 10 wurde eine weitere Sondersitzung dazu in NAMUR einberufen. Vielleicht wird sich der Standpunkt der Wallonischen Regierung doch noch ändern... obwohl die Hoffnung schwindet und die Zeit weiter läuft...