"Die Justiz pfeift aus dem letzten Loch", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Protest und Appell der belgischen Justiz", titelt das GrenzEcho. Den Protest von rund 1.000 Mitgliedern des belgischen Justizwesens, gestern im Brüsseler Justizpalast, greifen einige Zeitungen auch in ihren Leitartikeln auf.
Le Soir erinnert: Die Justiz ist einer der drei Grundpfeiler jeder Demokratie. In Belgien ist die Justiz bedroht – und das ist extrem besorgniserregend, nicht nur mit Blick auf das, was in den USA zurzeit passiert, sondern auch bezogen auf den europäischen Kontext. Auch in Europa versuchen Regierungen immer öfter Aufgaben der Justiz zu übernehmen. In Belgien fehlt es an allen Ecken und Kanten am nötigsten, damit das Gerichtswesen gut arbeiten kann. Über 600 Polizisten fehlen, 49 Untersuchungsrichter und über 2.300 offene Strafverfahren Ende vergangenen Jahres. Das Mindeste, was man von der Politik erwarten kann, wäre ein offener Dialog mit den Vertretern des Justizwesens über die geplanten Reformen. Dieser Dialog ist leider nicht in Sicht, bedauert Le Soir.
Sparen allein reicht nicht
De Tijd findet: Der Protest ist verständlich. Vieles läuft nicht gut im belgischen Justizwesen. Aber allein durch Sparmaßnahmen wird es auch nicht besser werden. Grundlegende Reformen und neue Herangehensweisen müssen auch helfen, die Justiz wieder schlagkräftig zu machen. Dabei ist sehr oft zu beobachten, dass die Menschen, die gegen Sparmaßnahmen protestieren, wie jetzt die 1.000 Magistrate in Brüssel auch die ersten sind, die sich gegen Veränderungen wehren. Wenn aber alles so bleibt, wie es ist – gleiche Gehälter, gleich hohe Renten, gleiche Strukturen – wird auch nichts besser werden können in einem Staat, der zum Sparen verdammt ist. Beide Seiten, Politik und Magistrate, müssen bereit sein, über diese Dinge zu sprechen, betont De Tijd.
Zum angekündigten Ärzte-Streik am 7. Juli notiert Gazet Van Antwerpen: Die Ärzte sind mit den Reformplänen von Gesundheitsminister Vandenbroucke nicht zufrieden. Dass Reformen im Ärztewesen hermüssen, ist völlig richtig. Recht haben die Ärzte vielleicht in den Punkt, dass Vandenbroucke die Reformen ungeschickt angegangen ist. Ist das aber ein Grund zum Streik? Auf keinen Fall! Denn unter einem Streik der Ärzte leiden die Menschen, die die Hilfe der Ärzte zum Teil dringend nötig haben. Leiden werden auch die Mitarbeiter von Notaufnahmen in Krankenhäusern. Denn sie werden am 7. Juli mit Arbeit überlastet werden, prophezeit Gazet Van Antwerpen.
Ungerechtigkeit wird bleiben
Het Laatste Nieuws kommentiert zur Kapitalertragssteuer, an der die Föderalregierung zurzeit arbeitet: Machen wir uns nichts vor. Eine richtige Steuerreform wird die Kapitalertragssteuer nicht werden. Die Steuerungerechtigkeit, die in Belgien nun mal existiert – das sagen selbst Steuerexperten – wird dadurch nicht abgeschafft. Selbst die allerreichsten Belgier werden wohl kaum unter der neuen Abgabe leiden müssen. Ihre Anwälte und Steuerberater werden schon Wege finden, die Kapitalertragssteuer zu umgehen. Denn so ist es schon heute. Von den zehn Prozent der reichsten Belgier zahlen neun Prozent wirklich auch die meisten Steuer. Die reichsten ein Prozent dagegen finden Wege nicht zu den höchst belasteten Bürgern zu gehören, kritisiert Het Laatste Nieuws.
La Libre Belgique beschäftigt sich mit der politischen Situation in der Hauptstadt-Region Brüssel und seufzt: Immer noch hat Brüssel keine neue Regierung. Und über ein Jahr mittlerweile sollte die MR als Wahlsieger eigentlich daran arbeiten, eine solche Regierung zu bilden. Offensichtlich ist sie nicht in der Lage dazu. Aus ganz unterschiedlichen Gründen, vor allem aber auch wegen der Totalblockade der PS. Eine gute Idee wäre es vielleicht, die Verantwortung der Regierungsbildung abzugeben an Les Engagés. Die Partei präsentiert die Mitte und vielleicht ist es aus dieser Position möglich irgendetwas zu erreichen. Der MR würde dadurch keine Zacke aus der Krone fallen. Im Rückblick könnte man ihr danken, dass sie die Größe hatte, um auf den Machtanspruch zu verzichten, rät La Libre Belgique.
Die Masken fallen
De Standaard beobachtet: Seit den vergangenen Wahlen hat sich der Vlaams Belang, immerhin zweitstärkste politische Partei in Flandern, radikalisiert. Hatte der Belang bis zu den Wahlen noch versucht gerade über seinen smart erscheinenden Vorsitzenden Tom Van Grieken sich den Anschein einer bürgerlichen Partei zu geben, so fallen jetzt nach und nach die Masken. In Bezug auf Migranten fordert die Partei jetzt ganz offen massive Abschiebungen und Deportationen. Der Diskurs verliert seine Nuancen. Beim Vlaams Belang geht es jetzt um Freund oder Feind. Die Entwicklung ist verständlich bei einer Migrationsministerin aus den Reihen der N-VA, die Grenzkontrollen wiedereinführt und bei einem N-VA-Premierminister, der den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angreift. Dem muss dem Vlaams Belang eine noch rechtere Politik entgegenstellen. Die Partei wird zu einer offensichtlichen Gefahr für die Demokratie, analysiert De Standaard.
Kay Wagner