"Remco Evenepoel ist zum zweiten Mal Ihr Belgier des Jahres", titelt Het Laatste Nieuws. Die meistgelesene Zeitung des Landes kürt heute Ihre Menschen des Jahres. Remco Evenepoel hat sich 2024 noch einmal selbst übertroffen: Er wurde Dritter in der Gesamtwertung der Tour de France und holte nur wenige Wochen später bei den Olympischen Spielen in Paris zwei Goldmedaillen. Auf Platz zwei steht N-VA-Chef Bart De Wever, der ja - zumindest Stand jetzt - der nächste Premierminister des Landes sein wird. Gazet Van Antwerpen kürt ihn heute übrigens auch zum Antwerpener des Jahres.
Apropos De Wever. Einige Zeitungen beschäftigen sich auch heute, am letzten Tag des Jahres, noch mit den föderalen Koalitionsverhandlungen. "Das mit der schnellen Regierungsbildung nach dem 9. Juni, das war wohl nichts", bilanziert sinngemäß De Morgen. Am Wochenende hieß es dann plötzlich, dass die fünf Arizona-Parteien jetzt das Tempo beschleunigen und bis Ende Januar die Koalition auf die Beine stellen wollen. Dass wir das noch erleben dürfen!
Die Partner wollen also einen Gang höher schalten. Das letzte Mal, dass sie sich das vorgenommen haben, das ist gerade mal zwei Wochen her. Noch am selben Tag gab es am Verhandlungstisch einen furchtbaren Clash, und dann musste erstmal die Pausentaste gedrückt werden. Mit anderen Worten: Wenn die Arizona-Parteien jetzt plötzlich mehr Tempo versprechen, dann ist da durchaus Skepsis erlaubt. Immer noch fühlt es sich so an, als hätte der eine oder andere erst nach dem 9. Juni festgestellt, dass man dieses Land nicht nur zusammen mit Gleichgesinnten regieren kann.
Wie ein defensiver Schachspieler, der nicht an dem Sieg glaubt
Bei alledem gibt Regierungsbildner Bart De Wever in der Regel den Unbeteiligten, analysiert Het Laatste Nieuws. Er scheint sich beinahe in der Rolle eines Vaters zu sehen, der den Kindern dabei zusieht, wie sie sich streiten, um ihnen dann irgendwann süffisant auf die Schulter zu klopfen mit den Worten: "Mein Gott, Jungs, was macht ihr denn da schon wieder?". Von Selbstkritik keine Spur. Dabei ist doch klar: Wenn Arizona am Ende scheitert, dann ist das - natürlich - auch irgendwo die Schuld desjenigen, der die Leitung der Gespräche innehatte. Und das ist nun mal Bart De Wever.
Und tatsächlich muss man feststellen, dass seine Strategie nicht immer die richtige war, und dass er eigentlich oft unnötig viel Zeit verloren hat. Dass er bei alledem so tut, als wäre er eher in der Beobachterposition, das macht das Ganze nicht besser, ganz im Gegenteil. Im Grunde hat man den Eindruck, dass er seinen Anhängern gegenüber von Anfang an darauf bedacht war, ein mögliches Scheitern den "anderen" anzulasten. Zwischen Klammern gesagt wäre das für ihn ohnehin nur der Beweis dafür, dass Belgien unregierbar ist. De Wever verhält sich wie ein defensiver Schachspieler, der zu wenig an einem Sieg glaubt.
Belgien: Eine Insel im Auge des Orkans
Le Soir quittiert das Ganze nur noch mit einem Kopfschütteln. Die politisch Verantwortlichen scheinen zu glauben, dass Belgien eine Insel ist, als würde uns das Chaos in der Welt und auch in Europa hier nicht erreichen, oder zumindest nur in abgeschwächter Form. Und, wenn man das Glas halbvoll sieht, dann ist das vielleicht auch nicht grundlegend falsch. Ein Wahlsieg des Vlaams Belang blieb uns am 9. Juni schließlich erspart. Dennoch: Es steht zu befürchten, dass sich das Land im Moment allenfalls im Auge des Orkans befindet. Frage ist: Wie lange noch? Dass Belgien nach wie vor keine Regierung hat, das ist denn auch weder nachvollziehbar noch akzeptabel. Und den Wählern, die die Karten doch angeblich so günstig gelegt hatten, ist das Ganze schon längst nicht mehr zu verkaufen.
Das GrenzEcho sieht das ähnlich. Seit über 200 Tagen warten wir auf eine neue Föderalregierung, obwohl alle Voraussetzungen für eine schnelle Einigung vorhanden schienen. Kein Wunder, dass sich der Rechtspopulismus wie ein Virus ausbreiten kann. In den USA ist der Niedergang der politischen Kultur aber noch weiter fortgeschritten. In wenigen Wochen beginnt mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump als Präsident die größte Bewährungsprobe für das US-amerikanische Gesellschaftssystem seit dem Sezessionskrieg im 19. Jahrhundert. Das ausgerechnet ein Brandstifter wie Trump neue Hoffnung auf Frieden in der Ukraine aufkeimen lässt, das offenbart das Ausmaß der Handlungsunfähigkeit Europas. Es war eben ein Jahr der Extreme. Bei alledem sollte man jetzt aber nicht den Kopf in den Sand stecken und sich in Ohnmacht verlieren.
Richten wir unseren Blick in die Zukunft!
Lange nicht mehr war ein Jahreswechsel von so einem mulmigen Gefühl im Bauch begleitet, meint auch nachdenklich Gazet Van Antwerpen. Eigentlich empfiehlt es sich, nicht allzu sehr auf 2024 zurückzublicken. Auf die Wahlen in den USA, bei denen sogar Schüsse auf einen der Kandidaten abgegeben wurden, auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, auf die immer heftigeren Naturkatastrophen überall in der Welt, die eine Folge des Klimawandels sind, auf die Koalitionsverhandlungen in Endlosschleife im eigenen Land. Richten wir unseren Blick lieber in die Zukunft! Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Wie im Übrigen alle Zeitungen wünscht denn auch Het Laatste Nieuws seinen Lesern in erster Linie einen guten Rutsch ins neue Jahr. Bart De Wever wünschen wir eine Regierung, dem Gaza-Streifen Leben, Israel Leben und leben lassen, Remco Evenepoel die Tour, dem belgischen Haushalt eine gründliche Sanierung, Wladimir Putin eine Überdosis Nowitschok. Wer krank ist, dem wünschen wir Gesundheit, wer ausgebrannt ist Feuer, wer zweifelt Sicherheit, wer alles besser weiß Zweifel, wer den Mut verliert Hoffnung, wer trauert Trost. Wir sehen uns im Jahr 2025.
In diesem Sinne wünscht euch auch das gesamte Team des BRF-Studios in Brüssel an dieser Stelle einen guten Rutsch ins neue Jahr.