"Pisa-Studie: Belgische Schüler schneiden schlecht ab", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Beispielloser Absturz bei Mathekenntnissen der Schüler", titelt La Libre Belgique. "Schüler punkteten nie schlechter in Lesen, Mathematik und Wissenschaften", so Het Nieuwsblad. "Das flämische Unterrichtswesen ist wieder in die Ecke gestellt worden", macht De Morgen auf. "Covid hat das Lernen der Jungen belastet", ist der Aufmacher bei L'Echo. "Covid hat die Ergebnisse nach unten gezogen", lautet die Überschrift bei L'Avenir.
Die Pisa-Ergebnisse sind wie erwartet schlecht ausgefallen, kommentiert La Dernière Heure. Überraschend sind hingegen die allgegenwärtigen Versuche, das zu relativieren. Die Bildungsministerin der Französischen Gemeinschaft etwa lobt, dass die Gemeinschaft gut widerstanden hätte, während es in anderen Ländern stark abwärts gegangen sei. Das ist ein bisschen wie das Kind, das mit einem schlechten Zeugnis nach Hause kommt und dann sagt, dass das Zeugnis des Nachbarkindes noch schlechter sei. Es steht außer Frage, dass Covid den Schulunterricht ziemlich durcheinandergebracht hat. Aber man kann das auch nicht für alles verantwortlich machen, was schief läuft. Um es auf den Punkt zu bringen: dass immer weniger von den Schülern verlangt wird, dass immer nur Noten, Prüfungen und Nicht-Sitzenbleiben im Fokus stehen, dass Lehrer sich immer mehr mit verwaltungstechnischen Aufgaben befassen müssen, dass ein Mangel an Lehrern herrscht, der alles bremst, dass die Klassen überfüllt sind, dass zu Hause zu wenig für die Schule gemacht wird. Und zum Schluss auch ganz sicher, dass das Unterrichtswesen immer stärker unter sozialen Ungleichheiten leidet, zählt La Dernière Heure auf.
Nicht nur auf die Nachbarn zeigen
Seit 20 Jahren zeigen die Pisa-Studien, dass das frankophone Unterrichtswesen regelmäßig schlechter abschneidet als der OECD-Durchschnitt, hält L'Echo fest, namentlich was Lesen, Mathematik und Wissenschaften betrifft. 2023 ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme, mit einer leichten weiteren Verschlechterung. Das ist sicher kein Grund zur Freude, aber auch kein Drama. Zum einen sollte man unterstreichen, dass die frankophonen Ergebnisse relativ stabil bleiben, von einem Absturz kann also keine Rede sein. In dieser Hinsicht müssen sich das flämische und das deutschsprachige Unterrichtswesen viel größere Sorgen machen, ihre Ergebnisse sind seit dem Jahr 2000 signifikant schlechter geworden. Aber es wäre kontraproduktiv, nur auf die Probleme der anderen zu verweisen, es gibt genug Baustellen und Herausforderungen, die angegangen werden müssen, betont L'Echo.
Die Französische Gemeinschaft war schon weit unten in der Rangliste der OECD, so La Libre Belgique, nun ist sie noch etwas weiter gefallen. Aber der Absturz ist viel weniger brutal als in Flandern, Deutschland oder sogar dem oft beneideten Finnland. Vor diesem Hintergrund scheint der eingeschlagene Weg der Französischen Gemeinschaft der richtige zu sein, auch wenn noch viel Luft nach oben ist. Ein großer Wermutstropfen ist allerdings, dass die gesellschaftlichen Ungleichheiten bei uns größer sind als bei den Nachbarn, insbesondere, was Kinder mit Migrationshintergrund angeht. Grund zur Sorge bietet auch die in der Pisa-Studie bemängelte Verschlechterung der Arbeitsatmosphäre: Ohne Disziplin, Aufmerksamkeit und Ruhe in den Klassen sind alle Initiativen zum Scheitern verurteilt, warnt La Libre Belgique.
Auch im Norden gehen alle Regenschirme auf
Das Unterrichtswesen ist der größte Posten im flämischen Haushalt, blickt Het Belang van Limburg auf den Norden des Landes: Und was bekommen wir für die 15 Milliarden Euro? Ein Zeugnis, für das es zu Hause Ärger geben würde. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse sind alle Regenschirme gleichzeitig aufgegangen: Es ist nicht die Schuld der Lehrer, nicht der Lehrerausbildungen, der Schulen, der Bildungsminister, der Eltern, der Dachorganisationen und so weiter und so fort. Dabei haben sie alle sehr wohl Schuld an den Ergebnissen. Jeder ein bisschen, und mag es noch so wenig sein: Aus Schneeflöckchen werden letztlich irgendwann Lawinen. Die einzigen, die wirklich keine Schuld tragen, das sind die Schüler selbst, denn es sind ja nicht sie, die den Unterricht organisieren, wettert Het Belang van Limburg.
Smartphone, Geld und Respekt
Unterrichtswesen und Bildungsminister sind sich des Problems bewusst, schreibt De Standaard, und sie arbeiten auch daran. Seit Jahren wird versucht, die Situation zu verbessern. Vielleicht sind dabei auch zu viele neue Trends umarmt worden. Klassische Lernmethoden sind über Bord geworfen worden, Lernen musste vor allem schön und angenehm sein. Aber Grundkenntnisse bleiben unverzichtbar, und um sie zu erwerben, sind klassische Lernmethoden vielleicht doch gar nicht so verkehrt. Solide Kenntnisse geben Schülern auch Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Und dann ist da noch das offensichtliche Problem, über das niemand sprechen will: Smartphones und Tablets stellen zwar einen großen Mehrwert dar während des Unterrichts. Aber sie haben einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Gehirne der Kinder. Ihr Einsatz wirkt sich nachgewiesenermaßen negativ auf die Konzentration und Lernleistungen aus. Wenn wir uns nicht nur Gedanken über den Unterricht machen wollen, sondern auch über unsere Kinder, dann müssen wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, fordert De Standaard.
Man kann über vieles diskutieren, merkt Het Nieuwsblad an. Aber wer wirklich eine Revolution im Unterrichtswesen will, der muss vor allem dafür sorgen, dass Lehrkräfte anständig bezahlt werden. Sprich Löhne wie im Privatsektor, mit außergesetzlichen Vorteilen. Außerdem muss Lehrern und Lehrerinnen wieder Respekt entgegengebracht werden, von Schülern, Eltern und Politikern. Nur so lässt sich der Mangel an gut ausgebildeten und motivierten Lehrkräften lösen, ist Het Nieuwsblad überzeugt.
Boris Schmidt