"Unruhen in Frankreich: Macron versinkt in einem explosiven und unvorhersehbaren Szenario", titelt Le Soir. "Warum Politik und Jugend sich in Frankreich immer mehr misstrauen", heißt es bei De Standaard auf Seite eins. "Krawalle auch in Brüssel: 64 Festnahmen", so der Aufmacher des GrenzEchos.
Die anhaltenden Unruhen in Frankreich nach dem Tod eines 17-Jährigen, der von einem Polizisten erschossen worden war, beschäftigen viele Zeitungen auch in ihren Leitartikeln. In einigen Urteilen sind sich alle einig: Unverständnis für die Reaktion des Polizisten, der den Jungen auf der Flucht bei einer Führerscheinkontrolle erschossen hatte. Unverständnis aber auch für die gewalttätigen Proteste, Plünderungen und Sachbeschädigungen, die sich in ganz Frankreich als Reaktion ausgebreitet haben. Unverständnis letztlich ebenso dafür, dass auch in Brüssel Jugendliche wegen der Vorfällt in Frankreich randaliert haben.
De Morgen zeichnet darüber hinaus ein düsteres Bild: Man darf sich keine Illusion machen. Es ist schon jetzt klar, wie der Konflikt in Frankreich ausgehen wird. Der Ruf nach mehr Repressionen wird größer werden. Es wird zu nächtlichen Ausgangssperren kommen, Versammlungsverboten und anderen freiheitsberaubenden Maßnahmen. Die harte Hand soll es unversöhnlich richten. Das sind genau die gleichen Kräfte, die zu dem Tod des 17-jährigen Nahel in Nanterre geführt haben. Die Polarisierung wird dadurch größer. Auch die Chance, dass es einen nächsten Nahel geben wird, befürchtet De Morgen.
Es braucht ein Gewissen 2.0
Le Soir findet: In der aktuellen Situation hat Präsident Emmanuel Macron Recht, wenn er einen Appell an die Gesellschaft richtet. Er hat alle Kräfte, die noch handlungsfähig sind, dazu aufgerufen, etwas zu tun, um die Unruhen zu stoppen. Vor allem die Eltern der meist jugendlichen Unruhestifter und die Internetkonzerte. Denn in einer Zeit, in der man im realen Leben kaum noch miteinander spricht, findet die Kommunikation im Internet statt. Dort wünscht man sich eine Person, einen Influencer, der die jungen Menschen erreicht. Der etwas anderes predigt als Hass. Kurz: Ein Gewissen 2.0, schließt Le Soir.
La Libre Belgique mahnt: Macron muss schnell und wirksam handeln, um zu verhindern, dass sich die Unruhen zu einem Dauerzustand entwickeln, wie das 2005 schon einmal in Frankreich war. Auffallend im Gegensatz zu damals ist allerdings, dass die Unruhen jetzt auch die Mittelschicht in kleineren Städten ergriffen haben. Man fühlt sich direkt an die Gelbwesten erinnert. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass breite Schichten der französischen Gesellschaft von großer Unzufriedenheit zerfressen sind, behauptet La Libre Belgique.
"Gebt den Menschen Arbeit!"
Het Laatste Nieuws vergleicht die Unruhen in Frankreich mit den Ausschreitungen in Brüssel von Donnerstagabend: In Brüssel war etwas zu beobachten, was man in Frankreich nicht sieht. Ältere Einwohner der Viertel, in denen die Jugendlichen randalierten, gingen auf die Jugendlichen zu und überredeten sie, aufzuhören. So etwas ähnliches gab es schon einmal bei den Ausschreitungen während der Fußballweltmeisterschaft. Dieses Verhalten ist äußerst vorbildlich. Denn zum einen hilft es natürlich der Polizei, wieder Ruhe in die Viertel zu bringen. Zum anderen verhindert es, dass die Jugendlichen ihre eigenen Wohngegenden selbst zerstören und sich damit noch tiefer in die Misere reiten, zeigt Het Laatste Nieuws auf.
De Standaard bietet in seinem Kommentar eine Lösung für die Abwärtsspirale an, in der sich gerade viele Familien mit Migrationshintergrund befinden: Gebt den Menschen Arbeit. Denn wenn wir es nicht schaffen, mehr Migranten einen Job zu geben, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass die Ausschreitungen aus den französischen Vorstädten nach Brüssel überschwappen. Wenn junge Menschen in einer Familie aufwachsen, in der die Eltern arbeitslos sind, in einer heruntergekommenen Wohnung leben, mit Ausgrenzung konfrontiert werden und keine Aussicht auf ein besseres Leben haben, dann ist klar, dass dieser Frust mal raus muss, weiß De Standaard.
Föderalregierung: Keine Lösung in Sicht
De Tijd kommentiert zur Lage der Föderalregierung: Das politische Zentrum, aus dem die Regierung besteht, hat sich selbst zerstört. Ausgerechnet die Parteien, die von sich gesagt haben, dass sie mit einer anderen Herangehensweise Politik führen wollten. Das macht das Ganze noch bitterer. Denn Lösungen für dieses Land und seine sehr komplexen Probleme sind in der Praxis immer aus der politischen Mitte gekommen. Nächstes Jahr wird es erstmals in der belgischen Geschichte Wahlen geben, bei der es diese politische Mitte gleichsam nicht mehr gibt. Besserung ist nicht in Sicht, bedauert De Tijd.
L'Echo meint mit Blick auf die Energiezukunft: Der Atomdeal zwischen Regierung und Engie darf nicht dazu führen, dass man jetzt nicht mehr an die Energiesicherheit des Landes denkt. Denn einen langfristigen Plan für die Energieversorgung gibt es weiterhin nicht. Eine solche Strategie ist unbedingt nötig, denn die Nachfrage gerade nach Elektrizität wird deutlich steigen. Lösungen müssen jetzt gefunden werden, damit sie in der Zukunft greifen, unterstreicht L'Echo.
Kay Wagner