"Iran-Affäre: Position von Lahbib bleibt wackelig – Außenministerin überzeugt Sozialisten und Grüne nicht", fasst das GrenzEcho auf Seite eins zusammen. "Das Schicksal von Lahbib hängt am seidenen Faden", so der Aufmacher von De Standaard. "Lahbib geschwächt", titelt in großen Buchstaben Le Soir. "Lahbib und die MR vollkommen isoliert in der Irangate-Affäre", stellt De Morgen fest. "Hadja Lahbib von einem Misstrauensvotum in der Kammer bedroht", meldet La Libre Belgique.
Ihr war ein heißer Empfang versprochen worden. Und den hat sie auch bekommen, kommentiert La Dernière Heure. Sowohl Opposition als auch Mehrheit haben MR-Außenministerin Hadja Lahbib in der Kammer unter Kritik-Dauerfeuer genommen. Sie hat ihre Rolle bei der Vergabe der Visa für den "Schlächter von Teheran" zur Teilnahme am "Brussels Urban Summit" verteidigt, so gut es eben ging. Dabei hat sie sich vor allem auf Realpolitik berufen, angesichts der Verhandlungen um die Freilassung von Olivier Vandecasteele und der anderen europäischen Geiseln. Allerdings hat diese Verteidigung ziemliche Löcher, nicht zuletzt, weil Lahbibs jüngste Version doch gehörig von der vor einer Woche abweicht. Ohne den ebenfalls anwesenden Premierminister hätten gestern wohl noch mehr Kugeln die Außenministerin getroffen. Das heißt aber nicht, dass sie gerettet wäre, sie wird noch ein Misstrauensvotum überstehen müssen, das N-VA und Vlaams Belang angestrengt haben. Eines ist derweil schon jetzt sicher: Selbst, wenn sie sich im Amt halten kann, wird Lahbib nicht ohne Kratzer aus dieser Affäre herauskommen, so La Dernière Heure.
Hinter Lahbib steht Bouchez
"Unzählige Unwahrheiten", "verdrehte Fakten" – die Vorwürfe sind Hadja Lahbib gestern nur so um die Ohren geflogen, hält auch Het Nieuwsblad fest. Aus den Reihen der Parteien der Mehrheit wohlgemerkt. Vor einer Woche klang die Verteidigung der Ministerin auch noch ganz anders: Die Region Brüssel und deren sozialistischer Staatssekretär Pascal Smet hätten sie unter Druck gesetzt, die Visa für die Iraner zu erteilen, hieß es damals. Mit harten Worten hat Lahbib Smet so den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Dabei hat auch die Brüssel-spezifische politische Logik eine Rolle gespielt, denn die MR sitzt hier – anders als in der Föderalregierung – in der Opposition. Und hinter Lahbib steht ihr unberechenbarer Parteipräsident Georges-Louis Bouchez. Der hatte in der Causa Smet auf Twitter, seinem Lieblings-Schlachtfeld, schon die Linie vorgegeben, seine Marionette Lahbib wurde aktiviert, um der Brüsseler Regionalregierung wehzutun. Das rächt sich nun, die MR bekommt diese Attacke von den Sozialisten wie einen Bumerang zurück ins eigene Gesicht, erklärt Het Nieuwsblad.
Selten war die Mehrheit so scharf zu einer eigenen Ministerin, schreibt Het Laatste Nieuws. Eigentlich wird Lahbib nur noch von ihrer eigenen Partei gestützt und von Premierminister Alexander De Croo. Die MR hat kaum noch Freunde, auch innerhalb der Regierungskoalition, die zahlreichen Angriffe ihres Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez haben sämtliche Rest-Sympathie bei den Partnern erschöpft, unterstreicht Het Laatste Nieuws.
Klarheit – und zwar schnell
Le Soir sieht Außenministerin Lahbib noch nicht auf verlorenem Posten: Die MR kann sich ihren Verlust und damit eine empfindliche Niederlage schlicht nicht erlauben. Ein Jahr vor den Wahlen gehört Lahbib zu den Trumpfkarten der frankophonen Liberalen in Brüssel. Die anderen Parteien der Vivaldi-Koalition können sich einen Sturz der Regierung über Lahbib ebenso wenig erlauben. Aber selbst, wenn sie diesen Sturm übersteht, wird sie sehr geschwächt aus der Affäre herausgehen. Ganz zu schweigen davon, dass die Föderalregierung einmal mehr in aller Öffentlichkeit ihre tiefe Zerrissenheit zur Schau gestellt hat, hebt Le Soir hervor.
Für La Libre Belgique bleibt die Zukunft der Außenministerin derweil sehr unsicher. Die Frage bleibt weiterhin offen, ob Lahbib dem Beispiel von Pascal Smet folgen und zurücktreten muss. So oder so haben sowohl ihre Glaubwürdigkeit als auch ihre Autorität schon viel Schaden genommen.
Wir brauchen Klarheit – und zwar schnell, fordert L'Echo, denn die Mehrdeutigkeiten und Inkohärenzen in den Erklärungen von Hadja Lahbib schaden der ganzen Regierung. Die Außenministerin muss endlich aufrichtig sein in dieser tristen Affäre und sich ihrer Verantwortung stellen. Und dann sollte sich die Vivaldi-Koalition bitte mit Elan an die noch ausstehenden Herausforderungen machen, von denen es ja noch mehr als genug gibt. Dieser politische Stillstand hilft nur den extremen Parteien, während die Bürger leiden, beklagt L'Echo.
Zwei Unglücke, zwei sehr verschiedene Wahrnehmungen
Het Belang van Limburg widmet seinen Leitartikel dem anderen Thema, das aktuell die Schlagzeilen beherrscht, der Suche nach dem kleinen U-Boot, mit dem Touristen zum Wrack der Titanic hinabtauchen wollten: Innerhalb kurzer Zeit ist es zu zwei Schiffsunglücken gekommen. Bei dem einen werden nun fünf Menschen in einem Mini-U-Boot vermisst, bei dem anderen sind vor der Küste Griechenlands rund 500 Menschen ertrunken. Und jetzt vergleichen Sie mal die Art der jeweiligen Berichterstattung: Seit Tagen beherrscht die Suche nach dem U-Boot "Titan" alle Schlagzeilen. Wir wissen genau, wie viele Stunden der Sauerstoff noch reichen könnte, dass es vielleicht Klopfgeräusche gab, wie das winzige U-Boot innen genau aussieht. Offenbar interessieren wir uns viel mehr für das Schicksal einer Handvoll Multimillionäre, die 250.000 Dollar für ein gefährliches Abenteuer bezahlt haben, als für das von hunderten Menschen, die ihre gefährliche Überfahrt mit dem Leben bezahlt haben. Dabei waren auch das Menschen und nicht einfach Zahlen in einer Statistik. Es waren Männer, Frauen und Kinder, die auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben waren, erinnert bitter Het Belang van Limburg.
Boris Schmidt