"EU-Ratspräsident Charles Michel liegt wegen seiner Reisekosten unter Beschuss", schreibt De Morgen auf Seite eins. Het Nieuwsblad formuliert es unverblümter: "Charles Michel unter Beschuss wegen astronomisch hoher Reisekosten". "Charles Michel gibt Millionen für Privatflüge aus", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Reist Charles Michel zu gerne und zu häufig mit dem Privatjet?", fragt sich seinerseits De Standaard.
Es war die französische Zeitung Le Monde, die den Stein ins Rollen brachte. Das Blatt listete in einem Artikel detailliert die Reisekosten des belgischen EU-Ratspräsidenten auf. Demnach flog Michel im vergangenen Jahr sogar fünf Mal mit einem Privatjet von Brüssel nach Straßburg.
Wie wäre es mal mit einer Zugreise, Herr Michel?
"Und wieder mal ist Charles Michel der Sündenbock", meint Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Besagter Artikel in der Zeitung Le Monde ist nicht der erste Angriff auf den ehemaligen belgischen Premier. Im vergangenen Jahr hatte auch schon das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel alle Register gezogen, um Charles Michel zu verunglimpfen. EU-Experten sprachen damals von einem "gezielten und durch Deutschland gesteuerten Angriff auf den belgischen EU-Ratspräsidenten. Und tatsächlich: Oft ist die Kritik an den Mann strategisch motiviert. Kurz und knapp: Große EU-Länder wie Deutschland und auch Frankreich mögen es nicht, wenn ein EU-Verantwortlicher allzu stark und selbstbewusst auftritt. Das alles allerdings ändert nichts daran, dass Michel skandalös oft auf einen Privatjet zurückgreift und sich auch ansonsten gerne wie ein eitler Gockel aufführt. Dadurch schüttet er eigentlich nur selbst Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker. Für die Europäische Union, für das Image Belgiens und für ihn selbst wäre es wohl besser, wenn Michel in nächster Zeit öfter mal den Zug nehmen würde.
Charles Michel scheint tatsächlich ein Faible für Privatjets zu haben, kann auch La Dernière Heure nur feststellen. Mit einem solchen Flieger ist er sogar zu den letzten beiden Klimaschutzkonferenzen gereist. Klar: Charles Michel bekleidet nun mal nicht irgendeine Position, sondern er ist eines der Gesichter der Europäischen Union. Doch auch das rechtfertigt keine ausufernden Reisekosten, die mal eben viermal höher liegen als bei seinen Vorgängern. Doch mit so etwas kommt man heutzutage nicht mehr durch, da die öffentliche Meinung den Verantwortlichen viel genauer als früher auf die Finger schaut. Und das ist auch gut so.
Macrons Aufforderung zur Emanzipation der EU
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch mit den umstrittenen Aussagen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron über die Position Europas in der Welt. Macron plädierte unter anderem für "europäische Souveränität", also einen eigenen Weg, was auch bis zu einem gewissen Maß eine Abgrenzung von den USA bedeuten würde.
Das GrenzEcho kann die Aussage des französischen Präsidenten offensichtlich im Wesentlichen unterschreiben. Es liegt im vitalen Interesse der EU, sich als eine global agierende Macht – und auch als ein Korrektiv – zu positionieren. Und die geschieht nun einmal nicht, indem man auf der Weltbühne den Büttel Washingtons gibt. Und zugleich hat Macron ja auch mit keinem Wort gesagt, dass Europa China näherstünde als den USA. Im Grunde ist es eine Aufforderung zur Emanzipation: Will Europa nicht zwischen den beiden großen Weltmächten zerrieben werden, braucht es eine eigene Position in der Welt.
Erschreckender Mangel an Solidarität und gefährliches Signal
La Libre Belgique bewertet den Vorstoß nicht ganz so wohlwollend. Bei den Aussagen des französischen Staatspräsidenten kann einem die Kinnlade herunterfallen. Um nicht zu sagen: Da läuft es einem kalt den Rücken runter. Macron predigt also strategische Autonomie, um zu verhindern, dass die Europäer am Ende zu "Vasallen" Amerikas oder Chinas werden. Wobei er beide unnuanciert in einem Atemzug nennt. Dem Plädoyer für ein starkes und unabhängiges Europa mag man ja noch beipflichten. Aber ist es wirklich der richtige Zeitpunkt, um den Amerikanern so plump auf die Füße zu treten? Ob man es will oder nicht, die transatlantischen Beziehungen sind für Europa nach wie vor eine Lebensversicherung. Die Position der USA etwa in der Taiwan-Problematik so offen in Frage zu stellen, zeugt von einem erschreckenden und konsternierenden Mangel an Solidarität. Und zugleich sendet Macron damit ein sehr gefährliches Signal in Richtung Peking: Machthaber Xi Jinping könnte den Eindruck bekommen, dass er freie Hand hat.
Bald keine monatlichen Vorschusszahlungen mehr?
De Standaard schließlich beschäftigt sich mit der Energierechnung der Belgier. Die Regierung will, dass die monatlichen Vorschusszahlungen bald der Vergangenheit angehören. Dank der digitalen Stromzähler ist es ja bald möglich, dass die Anbieter den Haushalten monatlich exakt die verbrauchte Energie in Rechnung stellen. Das klingt vernünftig, allerdings nur aus dem Blickwinkel der reicheren Mittelschicht, kritisiert das Blatt. Der Vorteil der Vorschusszahlung ist es, dass man für zwölf Monaten auf den Cent genau weiß, wie hoch die Energierechnung ausfällt. Legt man den genauen monatlichen Verbrauch zugrunde, dann kann diese Summe enorm variieren: Eher bescheiden in den Sommermonaten, außerordentlich hoch im Winter. Das Argument, wonach die Menschen hier doch einfach nur die entsprechenden Vorkehrungen treffen müssten, ist schlichtweg arrogant. Das ist im Übrigen nicht der einzige Bereich, in dem Entscheidungen nur für eine gut betuchte und gut ausgebildete Mittelschicht wirklich schlüssig klingen. Immer häufiger sind Dienstleistungen quasi nur noch über digitale Wege, etwa Smartphone-Apps zu erreichen. Die Corona-Krise hat die digitale Kluft innerhalb der Gesellschaft noch tiefer gemacht. Die Schwachen in unserer Gesellschaft drohen mehr und mehr abgehängt zu werden. Das dürfen wir nicht zulassen.
Roger Pint