"WhatsApp-Gate: Wie der Haushalt den Premier verfolgt", so die Überschrift bei De Morgen. "Oppositionsparteien fordern Rücktritt des Premiers", liest man auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. "Die N-VA meint, dass De Croo vor der Kammer gelogen hat", titelt Le Soir. "Missverständnis oder Lügen? Kabinett von De Bleeker glaubte, dass der Premier grünes Licht gab für den gesamten Haushalt", ist der große Aufmacher bei Het Laatste Nieuws.
Hat Premierminister Alexander De Croo über den Haushalt gelogen oder nicht? Das ist die Frage, die sich stellt, nachdem eine Anzahl von WhatsApp-Nachrichten geleakt worden ist, resümiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die Opposition findet schon und fordert deshalb öffentlich den Rücktritt der ganzen Föderalregierung. Aber es gibt keine "smoking gun", keinen schlagenden Beweis dafür. Die Textnachrichten können so oder so interpretiert werden. Die ganze Geschichte rund um den Haushaltsentwurf und den Rücktritt von Eva De Bleeker, der zuständigen Staatssekretärin, war schon unglaublich verwickelt und kompliziert. Dazu kommt dann noch der vage Umgang De Croos mit den Vorwürfen in der Kammer: Statt klaren Wein einzuschenken, wich er den Fragen lieber aus.
Die meisten Menschen haben inhaltlich schon längst abgehakt, also beim eigentlichen Kern der Sache, dem Haushalt. Was bei ihnen hängen bleibt, ist "De Croo hat gelogen" und mit buchhalterischen Tricks Milliarden aus dem Defizit herausgerechnet. Und dass er keine Eile damit hatte, der Opposition deswegen in der Kammer in die Augen zu blicken. Dass die Regierung hierüber fallen wird, das ist nahezu undenkbar, dafür ist die Beweisführung zu mager und ist die Gefahr bei den nächsten Wahlen für alle Vivaldi-Parteien zu groß. Fest steht aber, dass De Croo und seine liberale Partei angeschlagen aus dieser Geschichte herausgehen werden. Wieder einmal, betont Het Nieuwsblad.
Die eigentlich schmerzhafte Enthüllung
Aus den enthüllten Nachrichten lässt sich nicht ableiten, dass der Premier Parlament und Volk belogen hat, hält auch De Morgen fest. Hier steht Aussage gegen Aussage, die einen lesen aus den WhatsApp-Nachrichten ein Absegnen des gesamten Haushaltsentwurfs De Bleekers, die anderen sagen, dass es in den Nachrichten um etwas ganz anderes ging. Aber selbst, wenn man der Argumentation des Premierministers folgt, fällt das schlussendliche Bild von ihm und seiner Regierung nicht besonders gut aus. Denn dann wurde in der Kammer ein Haushaltsentwurf eingereicht, am dem bis zur allerletzten Minute geschraubt worden war. Mit diversen Versäumnissen als Folge. Das ist die eigentlich schmerzhafte Enthüllung aus diesem "WhatsApp-Gate".
Es wäre auch zu einfach, die Verantwortung für dieses Flickwerk am doch eigentlich wichtigsten Text des Regierungsjahrs der Ex-Staatssekretärin und ihrem Kabinett zuschieben zu wollen. Die ganze Regierung war dafür verantwortlich, giftet De Morgen.
Eine bedauerlich späte Kehrtwende
Der erste Reflex des Premierministers war, die Aufregung um die Haushaltskommunikation zu ignorieren, erinnert De Standaard, er sah keine neuen Entwicklungen und fand den Wirbel ungerecht, den die Opposition darum machte. Jetzt hat er aber beschlossen, seine Terminplanung für heute doch über den Haufen zu werfen, um vor der Kammer auf den Vorwurf zu reagieren, dass er gelogen haben soll.
Es ist gut, dass er diese Kehrtwende gestern in den Abendnachrichten angekündigt hat. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn er sich früher am richtigen Ort erklärt hätte, nämlich im Parlament. Solche Geschichten untergraben das Vertrauen in die Politik – und eine der zentralen Aufgaben eines Premierministers ist, diesen Eindruck zu bekämpfen. Jede Andeutung, dass er das nicht tut – ob nun zu Recht oder zu Unrecht – ist schädlich. Es ist bedauerlich, dass De Croo das nicht schon ein paar Tage früher eingesehen hat, beklagt De Standaard.
Es ist eine eiserne Regel in der Rue de la Loi, schreibt Het Laatste Nieuws: Am Ende strauchelt ein Politiker nicht über einen Trümmerhaufen, sondern über ein kleines Steinchen. Der Trümmerhaufen ist der Haushalt. Das Steinchen die geleakten WhatsApp-Nachrichten. Laut Premier De Croo ist das Ganze ein Sturm im Wasserglas – aber ein Sturm ist es eben doch. Wenn mehrdeutige Textnachrichten als Lügen gegenüber dem Parlament gelesen werden, dann ist das ein Problem und ist Klarheit schaffen besonders wichtig, unterstreicht Het Laatste Nieuws.
Mehr als "nur" ein Problem mit der Glaubwürdigkeit
Das GrenzEcho greift den Korruptionsskandal im Europäischen Parlament auf: Wenngleich die Unschuldsvermutung ein zentraler Grundsatz in einem demokratischen Rechtsstaat ist, legen die Ermittlungen der belgischen Justiz bereits jetzt nahe, dass das Europäische Parlament von kriminellen Strukturen regelrecht unterwandert ist. Wenn Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von einem Angriff auf die europäische Demokratie spricht, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Und mehr als Lippenbekenntnisse, sondern endlich Taten folgen.
Es wird sich zeigen müssen, ob es sich nur um einige wenige faule Äpfel handelt oder nur um die Spitze des Eisbergs. Anzeichen dafür, dass die europäischen Institutionen ein grundlegendes Problem haben, gibt es seit Längerem. Europas Institutionen stecken in der Krise. Wir haben es mit mehr zu tun als "nur" mit einem Problem mit der Glaubwürdigkeit, findet das GrenzEcho.
Die Grundlage der Demokratie ist ein Gleichgewicht zwischen Gewichten und Gegengewichten, betont Le Soir im Zusammenhang mit den jüngsten Polit-Skandalen sowohl im Europäischen als auch im Wallonischen Parlament. Dass Presse und Justiz nun eine zentrale Rolle spielen, bedeutet, dass andere Hebel versagt haben. Journalisten und Richter erfüllen ihre Aufgabe angesichts versagender politischer Verantwortlicher. Natürlich nähren die Enthüllungen antidemokratische und populistische Strömungen. Schuld daran sind aber sicher nicht die Gegengewichte, sondern die Politiker, die ethische, moralische und womöglich auch gesetzliche Regeln verletzt haben. Schuld daran sind auch die Institutionen, in denen diese Menschen tätig waren, weil sie entweder keine entsprechenden Kontrollmechanismen vorgesehen haben oder diese nicht aktiviert haben. Wenn sie nicht wollen, dass darüber geschrieben wird, dann sollten sie es eben nicht tun, stichelt Le Soir.
Boris Schmidt