"Jean-Claude Marcourt tritt als wallonischer Parlamentspräsident zurück", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Marcourt tritt zurück; zusammen mit seinem Vorstand", titelt L'Avenir. Auch La Dernière Heure hebt diese Präzisierung hervor: "Marcourt und der ganze Vorstand treten zurück", notiert das Blatt.
Der PS-Politiker Jean-Claude Marcourt hat sich am Abend nun doch bereit erklärt, sein Amt als Vorsitzender des wallonischen Parlaments niederzulegen. Dies allerdings unter der Bedingung, dass mit ihm der gesamte Vorstand zurücktritt. Dieses so genannte "Büro" ist für die Kontrolle der Ausgaben des Parlaments zuständig. Die Vertreter der liberalen MR in diesem Gremium haben aber noch nicht ausdrücklich erklärt, dass sie ebenfalls den Hut nehmen wollen.
Die frankophonen Sozialisten und ihre alten Dämonen
In dieser Affäre geht es ja unter anderem um eine völlig überteuerte Dienstreise, die Marcourt vor einem Jahr nach Dubai unternommen hatte. Er selbst hat sich aber anscheinend nichts vorzuwerfen: "Ich kann immer noch in den Spiegel gucken", sagt Marcourt auf Seite eins von Le Soir.
"Die Normverschiebung ist immer noch zu tief in das PS-Gewebe eingewachsen", analysiert De Standaard in seinem Leitartikel. Der Fall Marcourt zeigt, dass die frankophonen Sozialisten ihre alten Dämonen einfach nicht loswerden. Und PS-Chef Paul Magnette beging in der vergangenen Woche einen fatalen Einschätzungsfehler, als er es versäumte, gleich hart durchzugreifen. Das Ganze wirkt wie die x-te Bestätigung des Klischees, wonach Korruption und Selbstbereicherung Bestandteil der roten DNA sind. Innenpolitisch ist all das keine gute Neuigkeit, insbesondere für Premier Alexander De Croo. Die PS muss mehr denn je die Linksaußen-Konkurrenz PTB fürchten. Für Reformen durften die frankophonen Sozialisten nicht mehr zu haben sein.
Die Zeiten haben sich geändert
Het Belang van Limburg sieht das genauso. Wieder umweht die PS ein Hauch von Korruption. Neben Marcourt ist ja auch der Europa-Parlamentarier Marc Tarabella in den letzten Tagen ins Zwielicht geraten. Sein Name wird im EU-Korruptionsskandal genannt. Marcourt und Tarabella sind die letzten Einträge auf der langen Liste von schwarzen Schafen unter den Roten. Da stellt sich beinahe die Frage, ob man bei der PS wirklich immer noch den Eindruck hat, dass man sich im Süden des Landes tatsächlich alles erlauben darf.
Wobei sich bei den frankophonen Sozialisten doch langsam aber sicher Nervosität breit zu machen scheint, glaubt seinerseits Het Nieuwsblad. Der allmächtige PS-Chef Paul Magnette schien in den letzten Tagen regelrecht auf Eiern zu laufen, als er versuchte, die Blamage eines Marcourt-Rücktritts doch noch mit allerlei Kunstgriffen abzuwenden. Dabei wartet auf den Vorsitzenden wohl noch ein viel peinlicheres Problem, mit Namen der Fall Tarabella. In der Korruptionsaffäre um das EU-Parlament geht es nämlich um weitaus größere Summen als bei der Luxusreise von Marcourt. Und sogar Magnette dürfte verstanden haben, dass sich die Zeiten geändert haben. Sogar die traditionelle PS-Basis kann irgendwann zu dem Schluss kommen, dass zu viel einfach zu viel ist. Magnette muss die alten Krokodile mit ihren schlechten Manieren schnellstens loswerden.
Wo endet der EU-Korruptionsskandal?
Apropos Tarabella: Viele Zeitungen beschäftigen sich natürlich auch heute noch mit dem EU-Korruptionsskandal. "Der große Korruptionsskandal erschüttert die EU in ihren Grundfesten", titelt etwa De Tijd. "Im EU-Parlament hält man den Atem an", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Denn niemand weiß, wo dieser Skandal noch enden wird". Grob gesagt sollen ja einige Europaabgeordnete Geld angenommen haben. Geld aus Katar. Das Golfemirat habe auf diese Weise das EU-Parlament beeinflussen wollen.
"Die europäische Demokratie ist nicht käuflich", betont aber Le Soir in seinem Leitartikel. Die Ermittlungen sind zwar längst noch nicht abgeschlossen. Schon jetzt muss man aber feststellen, dass das System gehörig entgleist ist. Die von Natur aus heikle Wechselwirkung zwischen Politik und Lobbygruppen erweist sich hier als toxisch pervertiert. An sich ist es nicht verwerflich, dass Interessengruppen der Politik gegenüber ihre Sorgen und Nöte, und damit verbunden auch ihre Wünsche zum Ausdruck bringen. Diese Lobbyarbeit hat aber im vorliegenden Fall kriminelle Züge angenommen. Das EU-Parlament wird jetzt noch einmal deutlich machen müssen, dass die europäischen Werte nicht zu Verkauf stehen.
Warten auf einen Elektroschock
Man kann die Wut und das Entsetzen der Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, nur teilen, meint L'Echo. Diese Affäre hat schon jetzt enormen Schaden eingerichtet. Sie ist Wasser auf den Mühlen all jener, die das populistische Liedchen singen, wonach insbesondere EU-Politiker ohnehin "alle korrupt" sind. Diesen Leuten kann man entgegnen, dass der Ermittlungserfolg der belgischen Justiz doch gerade der Beweis dafür ist, dass der Rechtsstaat funktioniert, und dass faule Äpfel irgendwann auch als solche identifiziert werden.
Nichtsdestotrotz muss diese Affäre jetzt für einen Elektroschock sorgen. Denn das EU-Parlament ist in dieser Sache nicht ganz frei von Schuld. Einige Transparenz- und Ethikregeln können durchaus noch weiter angeschärft werden. Hier geht es letztlich um die Glaubwürdigkeit dieser demokratischsten aller EU-Institutionen.
Korruptionsskandale – Eiskalte Dusche für die Demokratie
Auch La Libre Belgique fordert strengere Regeln für öffentliche Einrichtungen. Natürlich wird man nie verhindern können, dass sich einzelne Personen mit Geld- oder Sachgeschenken umdrehen lassen. Doch müssen Regeln und Leitplanken mehr denn je noch viel klarer und entschlossener ausformuliert werden.
Die Affären in Brüssel und auch in Namur weisen jedenfalls mehrere Gemeinsamkeiten auf, glaubt L'Avenir. Erstmal geht es hier um Praktiken, von denen man eigentlich glaubte, dass sie der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus bringen in beiden Fällen einzelne Personen gleich eine ganze Institution in Misskredit. Und beide weisen leider auch darauf hin, dass immer noch nicht alle verstanden haben, dass sich die Zeiten schnellstens ändern müssen.
Beide Affären sind jedenfalls eine eiskalte Dusche für die Demokratie, ist La Dernière Heure überzeugt. Beide sind Symptome dafür, wie tief der Graben zwischen der Politik und den Bürgern geworden ist. Gerade in diesen Zeiten sind Skandale wie die in Namur oder Brüssel besonders schmerzhaft. Sie spielen den Feinden der Demokratie in die Karten; und ganz nebenbei auch einem Land, das ein Interesse an einer innereuropäischen Spaltung hat, mit Namen Russland.
Roger Pint