"Magnette lässt Marcourt fallen", titelt La Libre Belgique. "Wallonisches Parlament: Magnette ringt sich dazu durch, Marcourt fallen zu lassen", notiert ähnlich Le Soir auf seiner Titelseite. "Magnette drängt das ganze Büro zum Rücktritt", notiert L'Avenir auf Seite eins. Die ersten Konsequenzen aus dem neuen Finanzskandal im wallonischen Parlament greifen auch einige Zeitungen in ihren Leitartikeln auf.
L'Avenir hat beobachtet: Nachdem in den letzten Tagen viel über die luxuriöse Reise von Parlamentspräsident Jean-Claude Marcourt und seinem Greffier nach Dubai berichtet wurde, hörte man zunächst nichts von den Vorsitzenden der frankophonen Parteien. Erstaunlich? Nicht wirklich. Doch dann am Freitagabend die Forderung von PS-Chef Paul Magnette: Das ganze Büro des Parlaments, das die Finanzen kontrollieren soll, soll zurücktreten. Auch die PS-Mitglieder inklusive des PS-Parlamentspräsidenten. Das ist ein kluger Schachzug von Magnette. Denn mit seiner Forderung nach einem kompletten Neuanfang bei der Finanzüberwachung des Parlaments, mit einer Tabula rasa, macht er sich unangreifbar. Wer könnte so einem Vorschlag schon widersprechen? Frage nur, warum der Vorschlag nur erst jetzt kommt. Finanzskandale hat es schon vorher gegeben, erinnert L'Avenir.
Spät, aber konsequent
Auch La Dernière Heure findet: Die Reaktion von Magnette kommt ein bisschen spät. Aber sie hat immerhin das Verdienst, dass sie kommt. Die Praxis einer augenscheinlich so fehlerhaften Finanzkontrolle ohne Konsequenzen einfach weiterlaufen zu lassen, wäre nicht zu akzeptieren gewesen. Der Wähler hätte das nicht verstanden, betont La Dernière Heure.
La Libre Belgique notiert: Zunächst hatte Magnette noch von einer kollektiven Verantwortung gesprochen, ohne direkte Konsequenzen zu fordern. Doch relativ rasch änderte er seine Strategie. Freitagabend forderte er alle Mitglieder des Parlamentbüros zum Rücktritt auf - inklusive seines sozialistischen Parteigenossen Jean-Claude Marcourt. Das ist nur konsequent. Denn wer anders als der Präsident könnte verantwortlich sein für das gute Funktionieren des Parlaments? Marcourt ist außerdem kein Unbekannter in Sachen Finanzskandale. Schon bei der Nethys-Affäre hatte er nicht gegen die Machenschaften seiner Freunde nichts unternommen. Nachdem sein Name jetzt im Zusammenhang mit der Dubai-Reise gefallen ist, hätte er seinen Fehler direkt zugeben sollen. Das hat er nicht getan. Jetzt muss man ihn erst zur Tür drängen. Diese Schande hätte er sich ersparen können, hält La Libre Belgique fest.
Paris als Vorbild?
Die erste Woche des Prozesses zu den Terroranschlägen in Brüssel ist vorbei. Dazu kommentiert das GrenzEcho: Der Start ist völlig misslungen. Deutlich wird das schon daran, worüber bisher in erster Linie gesprochen wurde: Die Angeklagten versuchen offenbar erfolgreich, das Verfahren zu stören und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Für die meisten Diskussionen sorgen bisher ihre Haftbedingungen und ihr Transport vom Gefängnis in das Justizgebäude. Ein verheerendes Signal. Denn in diesem Prozess sollte es nicht nur um Schuld oder Unschuld der Angeklagten gehen, sondern vor allem um die gründliche Aufarbeitung der schrecklichen Anschläge, unterstreicht das GrenzEcho.
De Morgen sieht das ähnlich und regt deshalb an: Nach all dem, was in den ersten Wochen vorgefallen ist, sollte man über die Behandlung der Angeklagten noch einmal nachdenken. Man geht mit ihnen um, als ob wir uns noch in einem Krieg gegen den Terror befinden würden. Deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen so hoch. Die Frage ist nur, ob das nötig ist. Allein durch die Tatsache, dass die Angeklagten noch am Leben sind, könnte man sie auch als abtrünnige IS-Streiter sehen. Dann könnte man sie wie normale Gefangene behandeln und das wiederum könnte dazu führen, dass die Angeklagten kooperationsbereiter werden. Der Prozess zu den Terroranschlägen in Paris hat gezeigt, dass das möglich ist, gibt De Morgen zu bedenken.
Belgisches Dilemma
Het Laatste Nieuws schreibt zum Gefangenenaustausch zwischen den USA und Russland: Während die freigelassene amerikanische Basketball-Spielerin Brittney Griner mit Präsident Joe Biden und ihrem Lebenspartner feierte, vergoss die Familie des belgischen Entwicklungshelfers Oliver Vandecasteele bittere Tränen. Das belgische Verfassungsgericht hatte am Donnerstag entschieden, dass der im Iran festgehaltene Belgier nicht gegen einen in Belgien verurteilten iranischen Terroristen ausgetauscht werden darf. Aus ethischer Sicht ist das die beste Entscheidung. Die Frage ist nur, ob es die klügste ist. Wenn es um das Leben eines Mitbürgers geht, sollte kein Preis zu hoch sein.
De Standaard kommentiert zum gleichen Thema: Gefangene wurden schon immer ausgetauscht in Kriegszeiten. Die Zeit des langen Friedens in Europa hat uns vergessen lassen, was für eine schwierige Entscheidung das jedes Mal ist. Jedes Mal geht es um Menschen. Sehr oft werden beim Austausch von Gefangenen aber auch Rechtsprinzipien quasi mit Füßen getreten. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts führt uns dieses Dilemma wieder schmerzlich vor Augen. Für beide Entscheidungen - den Austausch zu vollziehen oder ihn abzulehnen - gibt es nachvollziehbare Begründungen. Wir werden wieder lernen müssen, mit diesem Dilemma zu leben, bedauert De Standaard.
Kay Wagner