"Der Druck auf die Politik wächst, um schneller zu handeln", titelt De Standaard. Denn: "Der 'Energiekrieg' spitzt sich weiter zu", stellt das GrenzEcho auf seiner Titelseite fest. Der staatliche russische Energiekonzern Gazprom hat nämlich angekündigt, dass bis auf Weiteres kein Gas mehr durch die Pipeline Nordstream 1 fließen wird. Angeblich hat das technische Gründe. Das setzt jedenfalls die Gaspreise weiter unter Druck.
Resultat von alledem: "Jeder Dritte kommt mit seinem Gehalt nicht mehr über die Runden", so die Aufmacher-Geschichte von Het Laatste Nieuws. "Jedem vierten Unternehmen droht die Pleite", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
"Alle Hoffnungen richten sich jetzt auf die EU, um die Energiepreise zu drücken", titelt denn auch De Morgen. Am Freitag wollen die EU-Energieminister bei einem Sondertreffen über die Lage beraten.
"Kriegswirtschaft"
Uns steht ein regelrechter Kriegswinter bevor, glaubt De Standaard in seinem Leitartikel. Dass Russland jetzt den Gashahn erst mal wieder zugedreht hat, dürfte die Preise wieder auf neue Rekordstände treiben. Gleichzeitig steigt auch in Belgien der Druck auf dem Kessel. Inzwischen fällt schon der Begriff "Kriegswirtschaft". Energieintensive Industriezweige drohen heruntergefahren werden zu müssen. Und auch die Bevölkerung dürfte wenig begeistert sein, wenn die ersten Abrechnungen dieses total bekloppten Jahres in den Briefkasten flattern. Für die Politik ist das alles jedenfalls eine Herausforderung ohne Beispiel. Vielleicht wäre sogar die Bildung eines Kriegskabinetts angebracht: So etwas wie eine Regierung der Nationalen Einheit, in der sich alle Parteien zusammenraufen würden.
"Das ist keine Energiekrise, das ist ein Krieg", meint auch Het Laatste Nieuws. Ein Krieg, den wir mit dem rücksichtslosen Aggressor Wladimir Putin ausfechten. Und so viel vorweg: Wer jetzt wegschaut, wenn Russland ein autonomes Land angreift, der wird morgen mit einem ganzen Haufen von Aggressoren konfrontiert, die dem russischen Beispiel folgen. Dennoch stellt sich die Frage, wie lange die Europäer das durchhalten beziehungsweise durchhalten wollen. Je höher die Energiepreise, desto schneller schmilzt die Solidarität mit der Ukraine wie Eis in der Sonne. Aber ist es nicht eben eine solch kurzsichtige Reaktion, auf die Wladimir Putin setzt? Mit der Energie-Waffe in der einen und der Agitation und Desinformation in sozialen Netzwerken in der anderen Hand will Russland die europäische Moral brechen. Parallel dazu zielt der Kreml darauf ab, dass in Europa zunehmend anti-demokratische Kräfte nach oben gespült werden. Dies ist ein Krieg und der Staat muss jetzt ganz schnell jenen helfen, die besonders hart getroffen werden.
Europa, der Blitzableiter
"Wie weit geht die Solidarität?", fragt sich auch das GrenzEcho. Premierminister Alexander De Croo warnte vor "fünf bis zehn schwierigen Wintern". Was meint er wohl damit? Explodierende Preise, gleichzeitig aber Versorgungsengpässe und mögliche Stromausfälle? Da ist sozialer Zündstoff vorprogrammiert. In Belgien gibt es angesichts des gigantischen Schuldenbergs keine Spielräume mehr. Und wenn man in der Heimat den großen Wurf nicht hinbekommen kann oder will, dann muss es die EU richten. De Croo betont jedenfalls immer wieder, dass die einzig echte Lösung auf europäischer Ebene liegt. Am Freitag sollen die EU-Energieminister über die Lage beraten. Sie sind zum Erfolg verdammt.
Europa muss es also wieder richten, konstatiert Gazet van Antwerpen. Hier wird also wieder der vertraut klingende Joker gezogen. Auf den ersten Blick mag das plausibel klingen, schließlich sind die erfolgversprechendsten Hebel tatsächlich auf der EU-Ebene angesiedelt. Doch sind Experten der Ansicht, dass Brüssel kurzfristig auch nichts gegen die hohen Energiepreise ausrichten kann. Es ist schlicht und einfach so, dass die Energiekonzerne in den letzten Jahren durch die Liberalisierung derartig freie Hand bekommen haben, dass sie ihre Aktivitäten hemmungslos auf ein einziges Ziel ausrichten konnten, nämlich sich selbst zu bereichern. Und unsere Regierungen haben das zugelassen. Wenn die jetzt mit dem Finger auf Europa zeigen, dann allenfalls, weil sie einen Blitzableiter suchen.
Het Belang van Limburg sieht das ähnlich: Die Liberalisierung der Energiemärkte mag über Jahre hinweg für günstige Rechnungen gesorgt haben. Der Markt ist aber nicht gegen einen Kriegsschock gefeit. Außerdem war die Liberalisierung mit einer immer größeren Abhängigkeit von Importen, namentlich von russischem Gas, gepaart. So haben wir uns erpressbar gemacht. Und kurzfristig bleibt uns jetzt nichts anderes übrig als diese Krise auszusitzen. Natürlich muss der Staat seinen notleidenden Bürgern unter die Arme greifen. Angesichts der astronomischen Staatsschuld sind die Spielräume aber klein. Diese Medaille hat keine schöne Seite.
Über wahren politischen Mut
Der Staat sollte aber mit seinen Hilfsmaßnahmen möglichst nur denen helfen, die es wirklich nötig haben, mahnen Het Nieuwsblad und De Morgen. In Belgien wird immer zuallererst die Mittelschicht bedacht, weil sie die größte und wichtigste politische Zielgruppe ist. Und oft geschieht das über Investitionshilfen, analysiert De Morgen. Im Umkehrschluss heißt das: Kein Geld, keine Unterstützung. Anderes Problem: Die Indexierung ist immer linear. Jeder bekommt einen gewissen Prozentsatz obendrauf, also auch die Leute, die es eigentlich nicht brauchen würden. Das Fazit von Het Nieuwsblad: Für jeden etwas, bedeutet unterm Strich gar nichts. Die Regierungen müssen hier chirurgisch vorgehen, nicht mit der Gießkanne.
Le Soir wünscht sich bei alledem mehr politische Geschlossenheit. Der MR-Präsident Georges Louis-Bouchez und der Ecolo-Co-Vorsitzende Jean-Marc Nollet haben sich am Wochenende in einem Fernsehstudio beharkt, als gäbe es kein Morgen. In jedem Fall konnte man nicht den Eindruck haben, dass beide ein und derselben Regierung angehören. Es wäre vielleicht an der Zeit, diese ideologischen Grabenkämpfe zu beenden. Der wahre politische Mut wäre, die nächste Wahl einmal außen vor zu lassen und gemeinsam die Probleme im Hier und Jetzt zu lösen.
Roger Pint