"Das wird ein schwerer Test für die Europäische Solidarität", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Die Gaskrise betrifft jeden Mitgliedstaat", titelt das GrenzEcho. Das sind die Worte von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die vor dem Brüsseler Gas-Gipfel nochmal an die Solidarität aller appelliert. Nach den Plänen der Kommission sollen die Mitgliedstaaten ja ihren Gas-Verbrauch in den kommenden acht Monaten freiwillig um 15 Prozent senken. Dadurch will man Versorgungsengpässe vermeiden, die durch die Reduzierung oder einen möglichen Stopp der russischen Gaslieferungen nach Europa drohen könnten. Allerdings ist das vor allem ein deutsches Problem. Und einige südliche EU-Länder, die wenig Gas aus Russland beziehen, sind nur wenig geneigt, Gas für ein Problem zu sparen, das nicht ihres ist.
"Mal schnell 15 Prozent an Gewicht abnehmen"
Und Belgien hat sich da offensichtlich eingereiht: "Belgien will aus dem Sparplan für Gas ausgeklammert werden", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Belgien fordert eine Ausnahmeregelung beim Europäischen Notfallplan für Gas", schreibt auch De Tijd. Das hat aber nicht so sehr mit mangelnder Solidarität zu tun. Belgien ist ein Transit-Land. 75 Prozent des Gases, das hier ankommt, geht sofort in die Nachbarländer. Und hier sind die Transportkapazitäten schon zu 100 Prozent ausgelastet.
Mal eben 15 Prozent Gas einzusparen, das ist nicht nichts, gibt De Morgen zu bedenken. Das ist immerhin ein Siebtel. Man kann ja mal schnell versuchen, 15 Prozent an Gewicht abzunehmen; das wird kein Zuckerschlecken. Aber unmöglich ist das auch nicht. Mit ein bisschen Disziplin und Energieeffizienz kann man dieses Spar-Ziel beim Gas erreichen und das, ohne apokalyptische Visionen von frierenden und hungernden Menschen heraufzubeschwören. Und doch drohen die Verhandlungen zu einem neuen Stresstest für die Europäische Einheit zu werden. Für einige, vor allem südliche Mitgliedstaaten, sind die Spar-Pläne der Kommission unannehmbar.
Was sehen wir also? Auch nach Monaten des Krieges schafft es Wladimir Putin immer noch, mit ein paar wenigen Worten einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben. Das sollte uns allen eine Warnung sein: Europa muss gerade in zentralen strategischen Bereichen schnellstens seine Unabhängigkeit erlangen, sollte sich jedenfalls nicht abhängig machen von Staaten, denen man nicht vertrauen kann.
Risse in Europa und drohende Rezession
Beim Brüsseler Gas-Gipfel geht es im Kern um die Solidarität mit dem von russischem Gas stark abhängigen Deutschland, bemerkt das GrenzEcho. Nicht vergessen: Deutschland die größte Industrienation der EU. Gerät die wirtschaftlich ins Wanken, wackelt ganz Europa. Trotzdem proben eine ganze Reihe von Ländern den Aufstand. Deutschland habe in großen Krisen des letzten Jahrzehnts die gebotene Solidarität vermissen lassen. Die Risse in der zunächst geschlossenen Anti-Putin-Front werden mit jedem Tag sichtbarer. Auch wenn keine der direkten Kriegsparteien im Augenblick gewillt scheint, in Friedensverhandlungen einzutreten, so gibt es doch im Hintergrund zwei Supermächte, nämlich die USA und China, die die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zwingen könnten. Und das wäre wohl das Gebot der Stunde.
Inzwischen gehen so ein bisschen überall Rezessionsängste um. La Dernière Heure stimmt ihre Leser auch schonmal darauf ein: "Rezession – Die Auswirkungen auf ihre Kaufkraft", schreibt das Blatt auf Seite eins".
"Die Rezession ist nicht nur unvermeidlich, sie hat schon begonnen", glaubt De Standaard in seinem Leitartikel. Die deutsche Industrie fährt langsam, aber sicher herunter; es fehlt schlichtweg an Energie, Zulieferteilen und Rohstoffen. Wenn man weiß, dass Belgien in hohem Maße abhängt von der deutschen Wirtschaft, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das auch bei uns spürbar wird. Und dann sprechen wir noch gar nicht über einen möglichen russischen Gaslieferstopp im kommenden Winter. Hinzu kommt: Die Zeiten der Negativzinsen sind vorbei. Für die Staatsfinanzen ist eine neue Zeit angebrochen. Ergo: Die Föderalregierung wird bei ihren Haushaltsberatungen im Herbst schwere Richtungsentscheidungen treffen müssen. Und das soll ausgerechnet diese Equipe hinbekommen? Eine Koalition aus sieben Parteien, die sich gegenseitig nach dem Leben trachten? Hier braut sich ein perfekter Sturm zusammen!
"Realpolitik": Jobs für illegale Migranten?
Einige Zeitungen beschäftigen mit dem jüngsten Vorstoß des Ecolo-Ko-Vorsitzenden Jean-Marc Nollet. Der hatte angeregt, dass man illegal in Belgien lebenden Ausländern die Möglichkeit geben sollte, legal Jobs anzunehmen. Dies, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken.
"Das nennt man Realpolitik", findet L'Avenir. Die Nachfrage ist da. Und es gibt auch ein Angebot, sprich: zehntausende Menschen, die nur darauf warten, einen legalen Job zu bekommen. Worauf wartet man also noch? Gut, die Gegenargumente einiger flämischer Parteien sind auch nicht falsch: Wenn man diese Menschen aus der Illegalität herausholt, dann würde das einen Ansaugeffekt erzeugen, hört man da. Dabei sollte man sich aber nochmal das Schicksal dieser Frauen und Männer vor Augen führen: Will man wirklich, dass sich deren Situation noch weiter verschlechtert?
Het Belang van Limburg sieht den Vorstoß demgegenüber kritisch. Der Vorschlag von Jean-Marc Nollet, das ist eigentlich eine De-facto-Regularisierung. Und das ist politisch nicht konsensfähig, das weiß auch der Ecolo-Ko-Vorsitzende. Warum stellt er dann solche Vorschläge in den Raum? Die rechten und rechtsextremen Parteien in Flandern lassen keine Gelegenheit aus, um auf den wallonischen Arbeitslosenzahlen herumzureiten. In solchen Momenten schaltet der frankophone Landesteil auf Durchzug. Aber die linken Parteien im Süden des Landes sollten zumindest wissen, welche Reaktionen sie in Flandern mit ihren Vorschlägen heraufbeschwören. Dann muss man sich jedenfalls nicht wundern, wenn man 2024 nach der Wahl Sätze hört wie "rien ne va plus"...
Cancel Culture im flämischen TV
Einige flämische Zeitungen schließlich beschäftigen sich mit einer Kontroverse um einen TV-Klassiker im nördlichen Landesteil. Die VRT hat beschlossen, 16 Folgen der Klamauk-Serie "F.C. De Kampioenen" nicht mehr auszustrahlen. Zur Begründung hieß es, dass darin Wörter und Begriffe verwendet würden, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen.
Ja, die Wortwahl mag ja tatsächlich so manchen schockieren, räumt Het Laatste Nieuws ein. So wird unter anderem frank und frei das "N-Wort" verwendet. Anfang des Jahrhunderts glaubte man eben, dass man die Menschen damit zum Lachen bringen konnte. Ob das gelungen ist oder nicht, das ist Ansichtssache. Die fraglichen Folgen einfach zu zensieren, das geht aber zu weit. Denn wo sind die Grenzen? Wenn diese Cancel Culture ihr Endstadium erreicht, dann bekommen wir ausnahmslos nur noch Dokus über den Klimawandel zu sehen.
Het Nieuwsblad ist nicht ganz so radikal. Was damals vielleicht noch normal war, das ist heute verletzend. Und es ist gut, dass wir das einsehen. Die beanstandeten Folgen einfach zu streichen, ist aber keine gute Idee. Treibt man das auf die Spitze, dann sprechen wir nämlich an Ende von Geschichtsfälschung. Das ist mit der Debatte über die Leopold-Standbilder vergleichbar: Hier hat man sich in vielen Fällen dafür entschieden, Text-Tafeln anzubringen, die das Monument in seinen damaligen historischen Kontext setzen. Kontextualisierung, das wäre auch im Fall F.C. De Kampioenen die bessere Lösung gewesen.
Auch Gazet van Antwerpen nimmt einen nuancierten Standpunkt ein. Seien wir ehrlich: Der Umgang mit solchen Problemen ist extrem heikel. Es mag ja inzwischen Konsens sein, dass Rassismus in unseren Gesellschaften keinen Platz haben darf. Die Frage allerdings, wo Rassismus genau anfängt, die ist für viele noch nicht abschließend geklärt. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass das "N-Wort" nicht mehr in die heutige Zeit passt. Insofern ist die Entscheidung der VRT nachvollziehbar, diese Folgen zu streichen. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn das nicht hinter verschlossenen Türen passiert wäre, sondern wenn der Sender offen darüber kommuniziert hätte. "Was entspricht noch dem Zeitgeist?", solche Fragen kann man nicht allein einer kleinen Hinterzimmer-Clique überlassen.
Roger Pint