"Heute dreht Putin den Gashahn zu", titeln De Standaard und Het Nieuwsblad. Und er tut das "zum ersten Mal", präzisiert Gazet van Antwerpen. "Putin lässt die ersten Länder ohne Gas dastehen", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Russland hat angekündigt, seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien einzustellen. Das haben die Regierungen beider Länder auch bestätigt. Hintergrund ist offenbar, dass beide Länder es ablehnen, die russischen Gaslieferungen in Rubel zu bezahlen. "Russland erhöht in diesen 'entscheidenden Wochen' den Druck", analysiert De Morgen auf seiner Titelseite. Denn auch auf dem Schlachtfeld in der Ukraine intensiviert die russische Armee ihre Angriffe, während der Westen der Regierung in Kiew zusätzliche Waffenlieferungen verspricht.
"Big Pharmas" Spendierhosen
"Jedes Jahr strömen 200 Millionen Euro von der Pharmaindustrie ins Gesundheitswesen", so derweil die Aufmachergeschichte von De Tijd. "Die bemerkenswerte Großzügigkeit von 'Big Pharma'", so die leicht sarkastische Schlagzeile von Le Soir. Beide Blätter haben zusammen mit den Magazinen Knack und Médor die Zuwendungen der Pharmaindustrie an Akteure im Gesundheitswesen analysiert. Zwischen 2017 und 2020 flossen über 800 Millionen Euro an mehr als 30.000 Begünstigte, darunter Ärzte, Krankenhausverantwortliche oder Pflegekräfte. Fachleute geben in Le Soir und De Tijd zu bedenken, dass solche Zahlungen wohl kaum uneigennützig sein dürften.
Le Soir kritisiert in seinem Leitartikel die Undurchsichtigkeit, die in diesem Zusammenhang nach wie vor herrscht. Seit 2016 gibt es zwar ein Gesetz, das zur Offenlegung der Zuwendungen von der Pharmaindustrie an Akteure im Gesundheitswesen verpflichtet. Die erwünschte Transparenz hat man damit aber bislang nicht erreicht. Es waren die Journalisten, die die zum Teil lückenhaft zur Verfügung stehenden Daten erstmal lesbar machen mussten. Es reicht nicht, ein Gesetz zu verabschieden, nur um sein Gewissen zu beruhigen. Man muss es auch konsequent umsetzen. Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke sollte hier schnellstens nachbessern.
Ein Musterbeispiel für moderne politische Kommunikation
Die meisten Leitartikel beschäftigen sich aber mit den Aussagen von Conner Rousseau, dem Vorsitzenden der flämischen Sozialisten Vooruit: "Wenn ich durch Molenbeek fahre, dann fühle ich mich nicht mehr in Belgien", sagte Rousseau in einem Interview mit dem Wochenmagazin Humo. "Die Entgleisung des Sozialisten-Chefs sorgt für einen Sturm der Entrüstung", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Aber Rousseau bleibt bei seinen Aussagen", notiert L'Echo.
Conner Rousseau liefert hier ein Musterbeispiel für moderne politische Kommunikation, analysiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Kurz und knapp: Ohne Brandbombe kriegt man keine Aufmerksamkeit. Diese Aussage war jedenfalls kein Ausrutscher. Es war vielmehr ein bewusst platziertes Dynamitstängchen. Rousseau mag bis zu einem gewissen Maß den Finger in eine reale Wunde legen, seine Aussagen wirken nichtsdestotrotz unglücklich und voreingenommen.
"Schockierend!", findet sogar La Libre Belgique. Von einem Parteipräsidenten darf man doch mehr Nuance und Feingefühl erwarten. Zumal der Vooruit-Vorsitzende hier sogar mit Gerüchten zu jonglieren scheint. Etwa wenn er erklärt, dass einige Lehrer in Molenbeek ihren Unterricht auf Arabisch geben, weil sie kein Französisch sprechen. Wenn das stimmt, dann wäre das in der Tat schlimm. Sollte diese Aussage unwahr sein, wäre das aber mindestens genauso schlimm, weil hier Extremismus auf der Grundlage von Fake News geschürt würde. Damit das klar ist: Jeder Demokrat muss auch Integrationsprobleme offen ansprechen können, auf die Gefahr hin, dass man das Thema ansonsten den Rechtsextremen überlässt. Das allerdings setzt Respekt, Menschlichkeit und Intelligenz voraus.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Conner Rousseau stellt sich zu Recht Fragen über die Ghettoisierung. Das hätte er allerdings auch in seiner Heimatstadt Sint-Niklaas tun können. Brüssel ist da offensichtlich eine einfachere Zielscheibe. Davon abgesehen sollte er nicht vergessen, wer in Molenbeek seit Jahr und Tag quasi uneingeschränkt regiert: die PS, also die frankophonen Kollegen. Verarmung als Machtgarantie. So zynisch kann Politik manchmal sein.
Der nützliche Idiot der Rechtsextremisten
Die linksgerichtete Zeitung De Morgen ist richtig sauer und bezeichnet Vooruit gleich mehrmals als "sogenannte" progressive Partei. Das Problem ist nicht, dass man auf die Probleme in Molenbeek hinweist. Das Problem ist auch nicht, dass der Vorsitzende einer sogenannten progressiven Partei das sagt. Nein, das Problem ist, dass Politiker sich profilieren wollen, indem sie die Probleme aufblasen, verallgemeinern, und dann auch noch Dinge hinzuphantasieren.
Was bitte ist der Unterschied zwischen den angeblich arabischsprechenden Lehrern von Conner Rousseau, dem "Höllenloch" von Donald Trump und den "tanzenden Moslems nach den Anschlägen" des früheren N-VA-Innenministers Jan Jambon? Da gibt es keinen Unterschied! Es sind aus der Luft gegriffene, stigmatisierende Aussagen, die Vorurteile bedienen und Ängste schüren sollen. Der Vorsitzende einer sogenannten progressiven Partei sollte niemanden treten, der schon am Boden liegt.
Auch Gazet van Antwerpen hält die Aussagen des Vooruit-Chefs für kontraproduktiv. Denn nicht nur, dass er die linke Seite des politischen Spektrums brüskiert, auch auf der rechten Seite wird der Satz von Conner Rousseau bewusst falsch verstanden und überdreht. All das sorgt dafür, dass wir über das eigentliche Problem mal wieder nicht diskutieren. So erreichen wir gar nichts.
Im Grunde macht sich Conner Rousseau zum nützlichen Idioten der Rechtsextremisten, schlussfolgert La Dernière Heure. Ein Sozialisten-Chef sollte eigentlich die Ursachen der fortschreitenden Ghettoisierung in einigen Städten bekämpfen. Wegzuschauen, das ist keine Lösung. Provokationen sind aber auch nicht zielführender.
Roger Pint