"Todesfahrer war viel zu schnell unterwegs – 34-Jähriger muss sich der fahrlässigen Tötung verantworten – Kurz vor Aufprall gebremst", fasst das GrenzEcho die jüngsten Entwicklungen zum Drama von Strépy zusammen. "Strafverfahren gegen Paolo und Nino eröffnet, die Tötungsabsicht ist vom Tisch", so L'Avenir. "Anwalt des Todesfahrers gibt Karnevalisten eine Teilschuld", titelt Het Nieuwsblad.
Es gibt viele gute Gründe, warum unser Strafgesetz bei Verkehrsunfällen Milde zeigt, kommentiert Het Laatste Nieuws. Jeder kann mal unachtsam sein – mit möglicherweise dramatischen Folgen. Dennoch müssen unsere Richter mehr Möglichkeiten bekommen, um Fahrer bestrafen zu können, bei denen überhöhte Geschwindigkeit keine Unaufmerksamkeit ist, sondern ein Lebensstil. Solche Fahrer haben keine "Unfälle", sie begehen Verbrechen. Hoffen wir, dass das Drama von Strépy zumindest wieder zu einer Diskussion über strengere Strafen für solche Menschen führt, so Het Laatste Nieuws.
Das muss aufhören!
Die Tragödie macht betroffen, kommentiert La Dernière Heure: Sechs niedergemähte Leben, Dutzende Familien, die wegen eines Verrückten am Steuer eines Wagens schrecklich leiden müssen. Wie soll man da keine Anteilnahme fühlen? Wie kann man keine Empörung spüren? Eine gesunde Wut, Empathie, Solidarität, Unverständnis – all das ist legitim.
Was aber gar nicht geht, sind der Hass, die Hetzjagd, die Bedrohungen, die Rache. Wie oft liest man auch jetzt wieder, wie Menschen offen dem Raser oder seinem Beifahrer den Tod oder Selbstmord wünschen? Dass die Familien der beiden verfolgt, ihre Adressen veröffentlicht werden, dass vollkommen Unschuldige belästigt werden? Auch gegen die angebliche zu lasche Justiz wird gewütet, die von fahrlässiger Tötung ausgeht. Manche wollen die Beschuldigten zerstört sehen, "Auge um Auge, Zahn um Zahn", schreien sie. Das muss aufhören!
Natürlich gibt es keine Entschuldigung für die Tat dieses Asphaltterroristen. Es spielt auch keine Rolle, ob er nüchtern oder betrunken war, ob er sauber oder zugedröhnt war, ob er von seinem Smartphone abgelenkt war oder auf die Straße konzentriert. Sein Fahrstil war tödlich. Punkt. Dafür wird er sich verantworten müssen. Aber das ist die Aufgabe der Justiz, nicht der Bevölkerung. Egal, wie tief betroffen Letztere auch ist, so der eindringliche Appell von La Dernière Heure.
Amerikanisches Gas, Blutdiamanten und prophetische Bücher
Die meisten anderen Zeitungen befassen sich in ihren Kommentaren mit dem Ukraine-Krieg beziehungsweise mit damit zusammenhängenden Themen: Morgen wird sich der amerikanische Präsident Joe Biden in Brüssel mit den europäischen Staats- und Regierungschefs abstimmen, schreibt Het Nieuwsblad. Auf der Tagesordnung wird dabei vor allem die russische Invasion der Ukraine stehen.
Es bleibt schwer, die gemeinsame europäische Front zusammenzuhalten. Die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten schießen hier immer wieder quer. Und dann ist da noch das Hauptproblem der Europäer: die Abhängigkeit vom russischen Gas. Das Geld, das Putin dafür bekommt, fließt direkt in seine Kriegsmaschinerie. Bei jeder neuen europäischen Sanktion droht der Kremlherrscher damit, den Hahn zuzudrehen. Gleichzeitig treffen die enorm gestiegenen Preise die Bevölkerung schwer.
Diese Probleme hat man auf der anderen Seite des Atlantiks weniger: Die Vereinigten Staaten sind weltweit der größte Exporteur von Flüssigerdgas. Biden könnte also kurzfristig die europäischen Probleme dämpfen. Und das würde das europäische Vorgehen gegen Russland in jeder Hinsicht einfacher machen. Neben amerikanischem Gas würde aber auch noch etwas anderes helfen: Standfestigkeit, mahnt Het Nieuwsblad.
De Morgen greift in seinem Leitartikel eine der erwähnten nationalen Interessen auf: Über 90 Prozent der russischen Rohdiamanten werden über den halbstaatlichen Betrieb Alrosa gehandelt. Und der Großteil der Alrosa-Exporte geht nach Antwerpen. Die Milliarden aus diesem Handel fließen in Putins Schatzkiste und finanzieren sogar direkt Militärtechnologie, darunter auch die russische Atomwaffenindustrie. Das stellt die Föderalregierung, das Antwerpener Rathaus und den gesamten belgischen Diamantensektor vor ein Dilemma. Auf die Gewissensfrage, ob der Handel mit dem russischen Diamant-Giganten noch zu verantworten ist, gibt es eigentlich nur eine Antwort: Nein. Wenn man aktuell den Begriff "Blutdiamanten" verwenden will, dann definitiv für die Diamanten von Alrosa. Wie man täglich an den Bildern aus Mariupol und Charkiw sehen kann, wettert De Morgen.
Im Jahr 1949 hat der britische Schriftsteller George Orwell sein "1984" verfasst, erinnert Gazet van Antwerpen. In dem fiktiven Roman geht es um eine Welt, die auf der Verbreitung von Angst und Hass und auf Grausamkeit aufgebaut ist. Das Regime macht seiner Bevölkerung weis, dass sich das Land im Krieg mit barbarischen Feinden von außen befindet. Es verbietet die freie Presse und ersetzt sie durch Propaganda. Überall setzt das Regime Spione ein, die kontrollieren, dass sich die Menschen an die auferlegten Regeln halten. Wer das nicht tut, dem droht das Straflager oder Schlimmeres. Es ist beängstigend festzustellen, dass der Roman von Orwell 73 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch immer hochaktuell zu sein scheint, unter anderem, was Russland betrifft, stellt Gazet van Antwerpen fest.
Ein radikaler Paradigmenwechsel
L'Avenir blickt auf eine andere Konsequenz von Putins Invasion: Um ihre Sicherheit zu gewährleisten, will die Europäische Union die Entscheidungsprozesse bezüglich einer gemeinsamen Verteidigung beschleunigen. Die Union will bis 2025 auch eine Eingreiftruppe mit bis zu 5.000 Soldaten aufstellen. Außerdem soll die Verteidigung gegen Cyberangriffe deutlich modernisiert und verstärkt werden, die Militärausgaben werden steigen.
Diese Schritte mögen manchem lächerlich erscheinen. In Wahrheit handelt es sich aber um einen radikalen Paradigmenwechsel: Die Europäer haben begriffen, dass sie trotz Nato militärisch sehr verwundbar sind. Und dass es – irgendwann in der Zukunft – durchaus denkbar sein könnte, dass die Interessen der Nato mit ihrem Schwergewicht USA so weit von denen der EU abweichen könnten, dass das die Stabilität der Union gefährden könnte. Im militärischen Bereich will man sich für den Fall der Fälle also etwas mehr Raum zum Manövrieren geben. Dieser zusätzliche Spielraum könnte letzten Endes einmal den entscheidenden Unterschied machen, unterstreicht L'Avenir.
Boris Schmidt