"Paolo F. saß hinter dem Steuer: etwas zu viel getrunken, aber vor allem viel zu schnell gefahren", fasst Gazet van Antwerpen auf Seite eins die Erkenntnisse zum Drama von Strépy zusammen. "Absichtliche Tat oder Unfall?", fragt La Libre Belgique. "Gedenken an die Opfer – Ermittlungen nach Todesfahrt laufen auf Hochtouren", liest man beim GrenzEcho.
Le Soir hat in seinem Leitartikel den Eindruck, dass die Wallonie fast schon verflucht sein muss: In der aktuellen Legislatur reiht sich ein Schicksalsschlag an den anderen. Nach der Gesundheitskrise zittert die Region jetzt vor den wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine. Die Überschwemmungen hatten der ohnehin verwundbaren Wallonie davor fast den Rest gegeben. Und jetzt eben auch noch das Drama von Strépy. Das erstickt symbolisch quasi im Keim das Wiederaufleben nach zwei Jahren Pandemie, beklagt Le Soir.
Unangenehme Fragen
Abgesehen von den zahlreichen noch offenen Fragen zum Hergang der Kollision gibt es noch weitere, tiefergehende und unangenehme Fragen, kommentiert De Morgen: Ist es normal, dass wir einfach so Autos akzeptieren, die in den verkehrten Händen leicht zu effizienten Mordwaffen werden können? Welchen Nutzen haben Autos, die mit Leichtigkeit das Doppelte der maximal erlaubten Geschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde erreichen können? Solche Einwände werden regelmäßig als Bevormundung abgetan, als neuerlicher Angriff auf unsere "Freiheit".
In der Werbung der Autokonzerne spielt die Idee eine zentrale Rolle, dass es zur freien Selbstbestimmung des Menschen gehört, so schnell zu fahren, wie er will. Dass diese Geschwindigkeit tödlich sein kann, das wird dabei verdrängt. Genauso, wie viele Amerikaner die tödliche Gefahr verdrängen, die von ihrem Recht ausgeht, Waffen zu tragen.
Auch jetzt, nach dem Vorfall von Strépy, ist die Versuchung wieder groß, alle Schuld dem mutmaßlichen Täter zuzuschieben. Seine Schuld steht ja auch außer Frage. Aber dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob man sich nicht auch mal mit den Autoherstellern beschäftigen sollte, die Menschen die Art von Fahrzeugen zur Verfügung stellen, die der Fahrer von Strépy liebevoll als "seine Waffe" bezeichnet hat, meint De Morgen.
Das echte Dilemma
Viele andere Zeitungen blicken derweil in ihren Leitartikeln erneut auf den Ukraine-Krieg und seine Folgen. Mit jedem Tag wird es schwieriger, dem echten Dilemma zu entkommen, das im Hintergrund alles andere überragt, hält De Standaard fest: ein Boykott von Öl und Gas aus Russland. Das ist die einzige nicht-militärische Waffe, die kurzfristig genug Druck auf den Kreml aufbauen kann, um den Krieg zu beenden. Die Alternative lautet: Der Krieg zieht sich in die Länge, es wird zahllose Tote und Verwundete geben und keine Aussicht auf ein Ende des weltweiten wirtschaftlichen Schadens.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiß das und kneift Europa da, wo es weh tut: Europa muss die Hähne der Leitungen aus Russland selbst zudrehen. So lange aus ihnen Öl und Gas nach hier fließt, so lange wird auch ukrainisches Blut fließen. Deshalb kann man es jeden Tag weniger verteidigen, dass nicht alles unternommen wird, um die Kremlkasse zu leeren, wettert De Standaard.
Während der Krieg in der Ukraine in seine vierte Woche geht, berät die Europäische Union über das fünfte Paket mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, konstatiert De Tijd. Um die Folgen für die eigene Wirtschaft zu dämpfen, machen sich die Regierungen und Firmen derweil auf die Suche nach Alternativen. Beim globalen Handel spielt Demokratie traditionell eine untergeordnete Rolle, nur die größten Schurkenstaaten werden vom Westen aus seinen Wirtschaftsbeziehungen ausgeschlossen. Geopolitik wiegt im Zweifelsfall schwerer als Moral.
Allerdings ist in den letzten Jahren eine Veränderung zu beobachten: Die wirtschaftlichen Beziehungen haben vermehrt auch eine ethische Dimension bekommen. Müssen sich die westlichen Staaten bei der Wahl ihrer Handelspartner an Prinzipien orientieren? Oder doch vor allem pragmatisch sein? Diese Frage wird durch den Konflikt in der Ukraine erneut in den Fokus gerückt, so De Tijd.
Der Krieg darf nicht zu einer Entschuldigung werden
L'Echo blickt auf die Abhängigkeit der Europäischen Union von Nahrungsmitteln von außen: Der Krieg hat bereits zu Lieferschwierigkeiten im Großhandel geführt, das ist richtig. Der Grund dafür ist vor allem im Einkaufs- und Bevorratungsverhalten bestimmter Kunden zu suchen. Aber Europa wird sich durch den Krieg niemals einer echten Gefahr bei der Nahrungsmittelversorgung ausgesetzt sehen. Deswegen sind auch bestimmte Vorstöße mit Vorsicht zu betrachten, die fordern, dass Umweltnormen ausgehebelt werden sollten, um europäischen Bauern eine höhere Produktion zu ermöglichen. Sich auf diesen Pfad zu begeben wäre aus verschiedenen Gründen gefährlich. Denn längerfristig könnten Zugeständnisse in puncto Biodiversität und Klimaschutz der europäischen Landwirtschaft sogar schaden. Der Krieg darf nicht zu einer Entschuldigung für einen diesbezüglichen Kurswechsel werden, mahnt L'Echo.
Während Putins Aggressionskrieg in der Ukraine unvermindert weiter Menschenopfer fordert, bemüht man sich in Europa, den Anschein von Handlungsfähigkeit zu erwecken, schreibt das GrenzEcho. Schnelle Eingreiftruppe, Gas- und Öl-Diplomatie, das Hofieren von Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien, um unabhängiger von Russland zu werden, das Vergessen von Bedenken gegen fossile Brennstoffe wie bei den Gaskraftwerken. Wieder einmal zeigt sich, dass die Versäumnisse der Vergangenheit in der harten Realität der Jetztzeit einen hohen Preis haben. Genau wie der gerade entfaltete Aktionismus sich als Hypothek auf die Zukunft erweisen wird, warnt das GrenzEcho.
Boris Schmidt