"Rettung von Zivilisten aus Mariupol scheitert", schreibt das GrenzEcho. "1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht – und selbst dabei werden sie noch beschossen", kann Het Laatste Nieuws nur feststellen. "Atomkraft: Ecolo öffnet die Tür", so der Aufmacher bei Le Soir. "Die Grünen öffnen die Tür für eine Laufzeitverlängerung der Kernzentralen", formuliert es De Standaard sehr ähnlich.
Es ist ein dreifacher "Gamechanger", der die Grünen zur Kehrtwende zwingt, analysiert De Standaard: die explodierenden Energiepreise, die Notwendigkeit, den CO2-Ausstoß zu verringern und vor allem der Einfall Russlands in die Ukraine. Gerade Letzteres hat alle Gewissheiten über den Haufen geworfen und bewiesen, wie sehr Energieabhängigkeit eine Frage der nationalen Sicherheit ist. Das ist bitter für die Grünen. Und niemand nimmt gerne Entscheidungen mit dem Messer an der Kehle, das gilt auch für die Föderalregierung. Aber die Umstände stellen auch ein legitimes Argument dar, um die Grünen-Basis von der Entscheidung zu überzeugen. Die Offenheit der Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten verdient in jedem Fall Respekt. Jetzt gilt: Alle Regierungen müssen sich schnell einigen, um die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen zu verringern, insbesondere, wenn die aus Russland kommen, fordert De Standaard.
"Mission impossible"
Die Aussagen sowohl vom Ecolo-Co-Vorsitzenden Jean-Marc Nollet als auch von Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten gereichen den Grünen zur Ehre, findet Le Soir. Und auch ihrer Regierungsbeteiligung. An diesem Verhalten sollten sich auch insbesondere die frankophonen Liberalen MR ein Beispiel nehmen. Dieses Dossier erfordert einen Austausch zwischen offenen und intelligenten Menschen. Menschen, die bereit sind, sich der Herausforderung des Augenblicks zu stellen. Langfristig muss das Ziel sein, die Energieabhängigkeit Europas zu beenden, indem man zu 100 Prozent auf erneuerbare Energiequellen umsteigt. Kurzfristig sind die Preise und die Versorgungssicherheit die wichtigsten Punkte. Es geht jetzt nicht mehr darum, eine Partie zu gewinnen oder eine Entscheidung auf später zu verschieben. Es geht darum, sich der Verantwortung der Geschichte zu stellen, unterstreicht Le Soir.
Nein, die Föderalregierung wird also nicht über den Atomausstieg straucheln, stellt Het Nieuwsblad in seinem Kommentar fest. Auch, wenn viele das befürchtet und andere gehofft hatten. Allerdings ist gar nicht sicher, ob die Kernzentralen überhaupt länger offenbleiben können. Technisch und juristisch wäre das nämlich ein Husarenstück. Vor allem aber den französischen Betreiberkonzern Engie davon zu überzeugen, nicht zu viel Geld dafür zu verlangen, wird eine "Mission impossible", eine unmögliche Aufgabe werden, warnt Het Nieuwsblad.
Eine neue Zeit
Het Laatste Nieuws stellt fest, dass keine große Freude über das heutige Ende einschneidender Corona-Schutzmaßnahmen aufkommen will. Der Krieg – das Wort, für das man in Russland jetzt bis zu 15 Jahre ins Gefängnis kommen kann – dämpft die Feierlaune. In einer Krise lernt man sich selbst kennen, heißt es. Mit der Schamesröte im Gesicht haben wir begriffen, dass man nicht straffrei seine Verteidigung kaputtsparen kann. Wir haben aber auch gelernt, dass Europa durchaus Zähne hat. Wir sind doch nicht die kurzsichtige, materialistische Union, für die Putin uns gehalten hat. Egal wie dieser Konflikt ausgehen wird, für Europa hat eine neue Zeit begonnen: Wir haben begriffen, dass wir leichte Opfer sind, wenn wir uns weiter auf den Schutz durch die Vereinigten Staaten verlassen, unabhängig davon, ob da nun ein Obama, Biden oder Trump sitzt, glaubt Het Laatste Nieuws.
Het Belang van Limburg fragt sich, wie entschlossen der Westen tatsächlich ist: Das wird man erst dann sehen, wenn das Adrenalin und die Euphorie der ersten Tage abgeebbt sein werden. Das gilt auch für die Flüchtlinge. Und für die Energiepreise. Wie lange werden wir bereit sein, den Preis zu zahlen? Jeden Tag bekommt Putin hunderte Millionen Euro für Energie aus Europa, mit denen er seine Bombardierung der Ukraine finanziert. Müsste man deshalb nicht die Einfuhr russischen Gases beenden? Sanktionen werden Putin nur beeindrucken, wenn sie auch uns wehtun. Wie wir durch diese Krise kommen, das wird zu einem großen Teil von unserer Entschlossenheit abhängen, mahnt Het Belang van Limburg.
Wo ist dieses Mal die rote Linie?
Auch wenn die Nato sich nicht Hals über Kopf in ein militärisches Abenteuer stürzen sollte, so erinnern die Lügen des russischen Schurkenregimes doch auffällig an die Nazi-Propaganda beim Überfall auf Polen, schreibt De Morgen. Die Frage ist, wo für den Westen die rote Linie ist. Im Jugoslawien der 1990er-Jahre griff die Nato erst ein, als das Ausmaß der humanitären Krise und der Völkermord nicht mehr zu leugnen waren. Es ist nicht auszuschließen, dass die Barbarei und Grausamkeit der russischen Truppen in der Ukraine die Nato letzten Endes unter Zugzwang setzen werden, so De Morgen.
Für Gazet van Antwerpen scheint sich Putin vor allem sein eigenes Grab zu schaufeln: Dass er Millionen Ukrainer in die Flucht gen Westen treibt, aus dessen Einflussbereich er sie doch raushalten will, dass er gerade im stark russischsprachigen Osten der Ukraine bombt, mordet und vernichtet, wird wohl kaum dazu führen, dass sich die Ukrainer Russland hinterher verbundener fühlen werden. Währenddessen treiben die westlichen Sanktionen immer mehr Russen in die Armut. Wenn trotz der massiven Unterdrückungsmaschine des Kremls die Verzweiflung der Menschen irgendwann größer wird als ihre Angst, dann scheint auch plötzlich die Zukunft Putins unsicher. Der russische Machthaber wollte einen Regimewechsel in Kiew. Aber langfristig kann es durchaus sein, dass sein Angriffskrieg der Auslöser für einen Machtwechsel in Russland sein könnte, hofft Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt
„Auch wenn die Nato sich nicht Hals über Kopf in ein militärisches Abenteuer stürzen sollte, so erinnern die Lügen des russischen Schurkenregimes doch auffällig an die Nazi-Propaganda beim Überfall auf Polen,… Die Frage ist, wo für den Westen die rote Linie ist… Es ist nicht auszuschließen, dass die Barbarei und Grausamkeit der russischen Truppen… die Nato letzten Endes unter Zugzwang setzen werden,...“
Und es ist naiv zu glauben, dass der Westen und die Nato-Mitgliedsstaaten nicht längst, durch ihre Waffenlieferungen und logistische Unterstützung der Ukraine zur Kriegspartei geworden sind. Das sieht Putin schon längst so.
Wenn es sein muss, wird sich für den Psychopathen im Kreml ein Vorwand finden oder konstruieren lassen, die Glaubwürdigkeit der Nato zu testen. Zu befürchten hat er scheinbar wenig.
Und wenn die Barbarei nicht reicht und die Russen kein Nato-Territorium betreten, was wäre bei einem weiteren „zufälligen“ Beschuss eines Atomkraftwerkes oder - viel einfacher - russischer Energiesanktionen?
Mir ist noch immer nicht klar, was Putin in der Ukraine erreichen möchte.
Wenn russische Einheiten, so wie jetzt, durch die Bombardierung ziviler Ziele Kriegsverbrechen verüben, bringt er doch die komplette Bevölkerung vor Ort gegen sich auf. Die werden niemals eine Marionettenregierung von Putins Gnaden akzeptieren.
Will er mit 200.000 Soldaten die ganze Ukraine mit 44 Mio. Einwohnern besetzen und dort ein Terrorregime etablieren, das jeden Widerstand durch den Einsatz massiver Gewalt erstickt?
Das ist, Gott sei Dank, völlig utopisch und nicht realisierbar: Dazu bräuchte er ganz andere personelle Ressourcen und Unterstützer vor Ort, die er nicht hat.
Was also hat Putin vor?
Es kann doch nicht sein Ziel sein, Russland in einen jahrelangen Partisanenkampf in der Ukraine zu verwickeln.
Dass er einen Irrweg beschritten hat, erkennt das niemand in seinem engeren Umfeld oder in der Militärführung?
Hat er allen Ernstes geglaubt, seine Truppen würden in Kiew mit Blumen empfangen werden?