„Krieg in Europa“, titeln gleichlautend Le Soir, De Morgen, De Standaard, De Tijd und Het Belang Van Limburg. „Die Invasion“, schreibt La Libre Belgique auf ihrer Titelseite. „Der schwärzeste Tag seit dem Zweiten Weltkrieg“, heißt es im Aufmacher von Gazet Van Antwerpen.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist meist das einzige Thema auf den Titelseiten der Zeitungen. Ausdrucksvolle Bilder aus der Ukraine - oft nur ein einziges - unterstreichen das Entsetzen, das auch in den Leitartikeln geäußert wird.
Le Soir schreibt: Seit gestern Morgen sind wir in Finsternis gehüllt. Wir sind aufgewacht und es war Krieg. Und was für ein Krieg! Ein Krieg, den ein größenwahnsinniger Autokrat führt, der unkontrollierbar scheint. Das erinnert – leider – an andere Personen aus der Geschichte. Zurzeit sind wir vor allem Zuschauer dieses Wahnsinns, der dunkelsten Stunden seit dem Zweiten Weltkrieg. China verurteilt Russland nicht. Das macht Angst. Das Einzige, was uns gerade trösten kann, ist die Gewissheit, dass Finsternis immer dem Licht weicht. Immer, betont Le Soir.
Brutales Erwachen
La Libre Belgique notiert: Brutal sind Ukrainer und Europäer gestern früh aus dem Schlaf gerissen worden. Wieder ein Krieg auf europäischem Boden. Geschichte wiederholt sich. Ohnmächtig schauen wir dabei zu, wie ein russischer Zar sich rächen und den Ruhm vergangener Zeiten wiederbeleben will. Die Worte Putins, seine wiederholten Drohungen, Lügen und Forderungen lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Der Westen verdammt die Militäraktion und kündigt wirtschaftliche Sanktionen an. Doch der Erfolg des Widerstands gegen Russland hängt von China ab. Bislang hat sich China so sehr zurückgehalten, dass es beinahe schon Angst macht. Sollten die beiden Mächte sich zusammenschließen gegen die westlichen Demokratien, würde das eine Neuordnung der Welt bedeuten, prophezeit La Libre Belgique.
Die Wirtschaftszeitung L’Echo kommentiert: Der von Putin losgetretene Krieg zeigt den Europäern auf, wie wenig das demokratische Modell Europas zurzeit noch wert ist. Man redet und redet, aber kaum jemand hört noch zu. Der Zar von Moskau zeigt gerade, wie naiv die Europäer sind. Europa muss das ändern. Es muss seine Verantwortung wahrnehmen, entweder über die Nato oder über die eigenen Einrichtungen. Europa muss sich organisieren, ausrüsten und aufhören, immer auf das Glück oder auf andere zu zählen. Realismus nennt man so etwas. Naivität kann sich Europa nicht weiter leisten. Demokratie muss man auch verteidigen, meint L’Echo.
Europäer zu naiv?
De Morgen dagegen findet: Es ist zu kurzsichtig, Europa jetzt wegen der fehlgeschlagenen Verhandlungsstrategie zu kritisieren. Das Momentum spricht zwar gerade für Putin. Aber auf längere Sicht ist der Krieg gegen die Ukraine ein gewagtes und kostspieliges Unternehmen für ihn. Sanktionen aus Europa können da durchaus ihre Wirkung entfalten. Nach Jahrhunderten mit viel Blutvergießen haben die Einwohner Europas gelernt, dass man auf Kriegsdrohungen auch mit anderen Mitteln antworten kann. Das ist ein Zeichen von Fortschritt, nicht von Schwäche, zeigt sich De Morgen überzeugt.
Ähnlich kommentiert De Standaard: Es wäre zu einfach, die Europäer als zu naiv abzustempeln. Macron und Scholz haben mit ihren Gesprächen das gemacht, wofür die EU steht: verhandeln, überlegen, Kompromisse schließen. Zugegeben: Das ist etwas langweilig. Aber dieses diplomatische Spiel hat uns fast 80 Jahre Frieden in Europa gebracht. Einschüchtern, heucheln und Krieg führen: Das haben wir verlernt. Zum Glück! Aber das erklärt eben auch, warum Europa gerade machtlos ist gegen einen Autokraten, der die internationale Rechtsordnung begräbt und einen neuen Eisernen Vorhang in Europa hochziehen will, beklagt De Standaard.
So sieht es auch das GrenzEcho, das notiert: Dieser Krieg wird das Gesicht Europas und der Welt auf Jahrzehnte verändern. Das Tauwetter nach dem Kalten Krieg ist vorbei. Europa und der Welt droht eine neue Spaltung, befürchtet das GrenzEcho.
Nichts ist mehr sicher in Europa
La Dernière Heure stellt fest: In einer Krise, die noch lange anzuhalten droht, hat Russland gestern freiwillig die Rolle des Bösen eingenommen. Krieg ist nie die beste Lösung. Der Angreifer ist immer auch der Schuldige, unterstreicht La Dernière Heure.
Het Nieuwsblad fordert: Nachdem Russland jetzt alle Masken hat fallen lassen, muss der Westen endlich sein Verhalten gegen die russischen Speerspitzen in unserer Gesellschaft ändern. Jahrelang hat der Kreml demokratiefeindliche Aktionen generös finanziert. Die Empfänger dieser Gelder oder auch ihre Nutznießer sind heute Verbündete eines Aggressors, der ohne Provokation einen souveränen Staat angegriffen hat. Mit dieser Realität werden wir noch lange Zeit leben müssen, bedauert Het Nieuwsblad.
Het Belang Van Limburg empfiehlt: Die Isolierung von Putins Russland, auf die sich die westlichen Länder zu einigen scheinen, darf nicht bei wirtschaftlichen Sanktionen aufhören. Auch diplomatisch muss Putin ins Abseits gestellt werden. Mit einem Kriegstreiber im Kreml kann die Welt nicht weitermachen. Denn die Unberechenbarkeit Putins sorgt dafür, dass wir seit gestern nichts mehr ausschließen können. Zwar ist die Chance, dass Russland auch Polen und die baltischen Staaten angreift, sehr gering. Allein schon, weil sie der Nato angehören. Aber seit gestern ist nichts mehr sicher in Europa, stellt Het Belang Van Limburg fest.
Kay Wagner