"Belgien schickt weder Waffen noch Munition in die Ukraine – Premier befürchtet Angriff bis nach Kiew", titelt das GrenzEcho. "Belgien schickt Küchen und Ferngläser in die Ukraine", meldet Het Nieuwsblad. "Angst vor dem 'düstersten Ukraine-Szenario'", zitiert De Standaard Premierminister Alexander De Croo.
Diese mittlerweile leider wohl prophetischen Worte sind gestern Abend im Rahmen einer Pressekonferenz nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates gefallen. Gegen sechs Uhr Moskauer Zeit heute Morgen, vier Uhr belgischer Zeit, hat der russische Machthaber Wladimir Putin seinen Armeen den offiziellen Angriffsbefehl auf die Ukraine gegeben. Die Situation ist naturgemäß unübersichtlich, aber es gibt Berichte über eine massive Invasion von Putins Truppen aus Belarus, aus Russland und über das Schwarze Meer. Aus vielen ukrainischen Städten weit hinter der bisherigen Frontlinie im Osten des Landes sind Explosionen gemeldet worden.
Einig über die Prinzipien, aber nicht über die Art und Weise
Diese dramatische Eskalation konnten die Zeitungen zur Drucklegung natürlich nicht antizipieren. Deswegen spiegelt sich das auch noch nicht auf den Titelseiten und in den Leitartikeln wider. Einige Zeitungen beschäftigen sich aber dennoch mit der geopolitischen Situation. "Die Anwendung von Gewalt und Zwang, um Grenzen neu zu ziehen, hat keinen Platz im 21. Jahrhundert. Die aggressiven Handlungen Russlands verletzen internationales Recht", zitiert Le Soir in seinem Kommentar aus der Einladung des Vorsitzenden des Europäischen Rates, Charles Michel, an die EU-Staats- und Regierungschefs. Für heute Abend war nämlich ein Sondergipfel zur Ukraine angesetzt. Man müsse Russland entgegentreten und es stoppen, es müsse zur Verantwortung gezogen werden, so Michel weiter.
Prinzipiell sind sich darüber ja alle einig. Über die Art und Weise hingegen nicht. Das ist nämlich viel, viel komplizierter, insbesondere hinsichtlich der Wirksamkeit möglicher Maßnahmen. So lange niemand bereit ist, Truppen zu schicken, um eine russische Offensive aufzuhalten, bleiben nur die berühmten wirtschaftlichen Sanktionen gegen den enthemmten Kremlherrscher. Eine erste Tranche ist bereits angekündigt, eine zweite soll folgen.
Das mache ihnen keine Angst, so aber bereits jetzt die offensichtlich großmäulige Reaktion der Russen. Sanktionen sind oft für die schwerer durchzuhalten, die sie verhängen, als für die, über die sie verhängt werden. Die Länder, die mit Sanktionen belegt werden, scheren sich meist nicht um die Folgen für ihre eigenen Bevölkerungen. Premier De Croo wollte gestern nicht "das düsterste Szenario" ausschließen. Nach den Terroranschlägen, nach der Pandemie und jetzt mit Putin muss man fast sagen, dass wir ununterbrochen auf harte Proben gestellt werden, seufzt Le Soir.
Der Faktor "China"
Man wird den Eindruck nicht los, dass man es mit einem Dialog der Taubstummen zu tun hat, von dem die EU und die sie tragenden Staaten, allen voran Frankreich und Deutschland, ausgeschlossen sind, schreibt das GrenzEcho. Das Verhalten Chinas könnte derweil zum nächsten Casus belli werden, siehe südchinesisches Meer, Hongkong, Taiwan und Litauen. Putin spielt beim Wettlauf um die Weltherrschaft zwischen China und den USA eine untergeordnete Rolle. Nur militärisch hat Russland noch Gewicht. Mit jeder Wirtschaftssanktion des Westens wächst seine Abhängigkeit gegenüber China. Es ist also in Putins vitalem Interesse, das Tor zum Westen nicht zuzuschlagen. Ja, die ausgestreckte Hand ist die eines Diktators. Es liegt an US-Präsident Biden, ob er sie annimmt und den Weg zum Verhandlungstisch geht, so das GrenzEcho, wie gesagt wohlgemerkt vor dem neuen großen russischen Überfall auf die Ukraine.
La Libre Belgique blickt ebenfalls nach Fernost: China zeigt, wie schizophren seine Außenpolitik geworden ist. Das Land betrachtet die Prinzipien der Souveränität von Staaten und ihre territoriale Integrität als essenziell. Gleichzeitig verbündet sich China mit Russland, dem Land, dass beide Prinzipien munter schändet. China baut seine Beziehungen mit der Ukraine massiv aus, unter anderem im Rüstungssektor, gleichzeitig verteidigt Peking Putin, der der Ukraine das Existenzrecht abspricht. Die Haltung Chinas trübt sein ohnehin beschädigtes Ansehen weiter: Unterdrückung aller Gegner, der Verdacht des Völkermords in Xinjiang, das Vorgehen in Hongkong, die umstrittene Rolle bei der Entstehung von Covid-19… Nein, China gibt wirklich kein schmeichelhaftes Bild ab, findet La Libre Belgique.
Zwischen Sehnsucht und Erleichterung
La Dernière Heure geht auf die epidemiologische Situation ein. Für den 4. März ist ja der nächste Konzertierungsausschuss angekündigt worden. Viele erwarten, dass er beschließen wird, das sogenannte Corona-Barometer auf "Code Gelb" umspringen zu lassen. Das würde die meisten aktuellen Schutzmaßregeln beenden. Wir freuen uns mindestens so sehr wie Sie, wendet sich die Zeitung an ihre Leser: Es gibt wirklich echte Gründe, um an das Ende der Pandemie zu glauben. Die Sehnsucht, dieses Kapitel nach zwei langen Jahren hinter uns zu lassen, ist riesig. Wir sind dabei, zwar nicht zu unserem Leben von früher, aber doch zumindest zu einem Leben wie früher zurückzukehren. Aber Achtung! Covid bleibt eine ernstzunehmende Krankheit, das Virus zirkuliert noch immer, warnt La Dernière Heure vor zu viel Übermut.
L'Avenir beschäftigt sich spezifisch mit dem erwarteten Ende für das Covid-Safe-Ticket, kurz CST. Zwei mögliche Herangehensweisen zeichnen sich ab: Entweder wird das CST quasi als Werkzeug auf Eis gelegt, um im Bedarfsfall wieder eingesetzt werden zu können. Oder es wird in aller Form wirklich und endgültig begraben. Die Frage, ob das Covid-Safe-Ticket tatsächlich geholfen hat, die Pandemie einzudämmen oder die Impfrate zu erhöhen, ist schwierig zu beantworten, die Meinungen hierzu gehen auseinander. Die Frage, wie berechtigt die Maßnahme war, spaltet die Bevölkerung ebenfalls. Mehr als genug Gründe jedenfalls, das CST – mindestens – in die Besenkammer zu verbannen. Das kann nur Erleichterung mit sich bringen, meint L'Avenir.
Boris Schmidt