"Anti-Covid-Randale", so die große Überschrift bei La Dernière Heure. "Keine Corona-Demonstration ohne Krawalle", schreibt Het Laatste Nieuws. "Sie kamen aus ganz Europa – 50.000 Menschen auf der Straße gegen Impf- und Corona-Politik", liest man bei De Standaard. "Die europäische Demonstration ist ausgeartet", fasst L'Avenir zusammen.
Wer behauptet, für Gesundheit und Demokratie zu demonstrieren, der tut gut daran, keine falschen Helden auf den Schild zu heben, die der Volksgesundheit und dem ehrlichen demokratischen Dialog schaden, schreibt De Morgen. Aber leider ist genau das gestern in Brüssel geschehen. Was manche als braven Marsch besorgter Bürger bewarben, war tatsächlich eine Propaganda-Veranstaltung für Impfgegner-Organisationen und Verbreiter von wilden Verschwörungstheorien.
Solche Gruppierungen sind mit ihren Lügen dafür verantwortlich, dass zahllose Menschen unnötig schwer leiden oder erkranken – auch an Covid-19. Sie sind dafür verantwortlich, dass überall auf der Welt wohlmeinende Politiker und Journalisten bedroht und bedrängt werden. Sie sind dafür verantwortlich, dass Familien zerrissen werden, weil sich Menschen zu tief in ihrer Märchenwelt verlieren. Eine kritische Haltung ist gut. Eine kritische Haltung ist notwendig. Aber wer sich nach zwei Jahren Corona-Krise mit solchen Heuchlern einlässt, der sollte mal in den Spiegel blicken, donnert De Morgen.
Versöhnen, was heute unversöhnlich scheint
La Libre Belgique warnt davor, alle Demonstranten in einen Topf zu werfen. Auch sollte man die Demonstranten nicht mit den wenig empfehlenswerten Organisatoren gleichsetzen. Unter den Demonstranten spürt man nicht nur Wut und Hass, sondern auch Angst. Angst vor der Zukunft oder vor dem Impfstoff. Angst um sich, ihre Kinder oder um andere. Diese Menschen stellen zwar eine Minderheit dar, aber sie zeigen, dass sich die Pandemie in eine tiefe psychologische und gesellschaftliche Krise verwandelt hat. Einige von ihnen denken vor allem an ihre eigenen Interessen. Das ist an sich ja legitim, ist aber nicht förderlich beim Austausch über eine Pandemie, die uns alle zusammen betrifft.
Auch die Sozialen Medien haben entscheidend zur Radikalisierung und zur Erschwerung des Dialogs beigetragen. Wir müssen Lehren daraus ziehen, denn eines Tages werden wir wieder zueinanderfinden und versöhnen müssen, was heute so unversöhnlich scheint, appelliert La Libre Belgique.
Inmitten der Krise muss die Zukunft überdacht werden, kommentiert Le Soir. Die Pandemie hat wie eine Explosion gewirkt bei einer Bevölkerung, die schon zuvor angeschlagen war. Einer Bevölkerung, die von oben von Institutionen verwaltet wird, die oft von ihrer mangelnden Effizienz diskreditiert werden, ihrem Mangel an Kohärenz, Vorbereitung, Ehrlichkeit und Nähe zum Bürger. Der Zustand ist umso besorgniserregender, wenn man sich vor Augen hält, dass der Zusammenhalt der Gesellschaften und eine glaubwürdige globale Führung unverzichtbar sind, um den Herausforderungen der Zukunft die Stirn zu bieten. Daran sollten vor allem die Demokraten arbeiten, anstatt sich für Wahlsiege in Position zu bringen, die sich schnell als lächerlich, weil unwirksam erweisen könnten. Es wird viel Demut und Zuhörbereitschaft erfordern, diese Herausforderung anzugehen. Und man wird neue Energien finden müssen. Aber leider ist das eine der verheerendsten Nachwirkungen dieses Virus: Viele von uns sind erschöpft, lamentiert Le Soir.
Letztendlich muss eine Entscheidung kommen
De Standaard schlägt den Bogen zur anstehenden parlamentarischen Debatte über die Einführung einer Impfpflicht: Nicht weniger als 32 Experten sind eingeladen worden, um vor der Kammer darüber zu sprechen. Das ist eine beeindruckende, aber zeitraubende Menge. Es ist natürlich richtig, dass die Politik nur gewinnen kann bei mehr Partizipation. Aber letztendlich wird doch eine Entscheidung getroffen werden müssen. Unentschlossene Politiker sind ein Albtraum, die Bürger verlangen nach klaren Regeln. Wenn sich Omikron so entwickelt, wie von den Experten erhofft, dann haben wir in einigen Monaten Code Gelb. Dann wird von einem Corona-Pass keine Rede mehr sein, geschweige denn von einer Impfpflicht. Aber trotzdem muss jetzt dringend gesetzlich alles vorbereitet werden für den Fall, dass Corona im Herbst erneut schwer zuschlägt. Auch wenn alle hoffen, dass das Gesetz über die Einführung eines Impfpasses nur auf dem Papier existieren wird, so De Standaard.
L'Avenir beklagt derweil die ihrer Meinung nach mangelnde Aufmerksamkeit für das Leiden junger Menschen unter der Pandemie. In Belgien hat jeder vierte der 18-29-Jährigen in den letzten zwölf Monaten ernsthaft über Selbstmord nachgedacht. Niemand weiß, wie viele tatsächlich zur Tat geschritten sind. Aber feststeht, dass es sich hier um eine Bombe mit Zeitzünder handelt und wir nicht zögern sollten, dieses Problem anzugehen. Es ist auch sehr bedauerlich, dass alle Versuche, sich der mentalen Gesundheit der Jugendlichen anzunehmen und sie zu behandeln seit Jahren unzureichend sind. Die Gelegenheit der Pandemie sollte genutzt werden, um Schlüsselmaßnahmen zu ergreifen, die Stigmatisierung zu bekämpfen, die Eltern und andere Einrichtungen zu unterstützen und an echten Lösungen zu arbeiten, fordert L'Avenir.
Die Sonne wird wieder scheinen – früher oder später
La Dernière Heure schließlich greift eine Äußerung des Sciensano-Virologen Steven Van Gucht auf: Der hatte gestern einen "sehr schönen Sommer" versprochen. Auch der Frühling werde angenehm werden in puncto Corona. Allerdings zeigt er sich weniger optimistisch über den Herbst und Winter, für die die Prognosen unsicherer sind.
Steven Van Gucht gibt uns endlich Hoffnung, aber wie auch bei der Wettervorhersage sind das leider nur Vorhersagen. Sollte er danebenliegen wegen der vielen Faktoren, die auch hier eine Rolle spielen, werden wir auf ihn schimpfen und enttäuscht sein. Aber wir sollten nie vergessen, dass die Sonne immer wieder scheinen wird. Früher – oder später, erinnert La Dernière Heure.
Boris Schmidt