"Das ist die bislang schwerste Welle", titelt Het Laatste Nieuws. "Krankenhäuser müssen Betten schließen wegen Personalmangels", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Der Ruf nach neuen Maßnahmen für Veranstaltungen noch lauter", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Unsere Waffe ist stumpf
Die vierte Welle sorgt derzeit für Besorgnis und Nervosität. Die Zahl der Neuinfektionen geht inzwischen durch die Decke. Und in vielen Krankenhäusern spitzt sich die Lage wieder zu. Nicht nur, dass immer mehr Covid-Patienten stationär behandelt werden müssen, die Kliniken leiden zudem unter Personalnöten. "Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fallen aus, auch weil sie sich selbst angesteckt haben", sagt der Leiter der Intensivstation der Uniklinik Gent in Het Laatste Nieuws. Resultat jedenfalls: "Die 2.000 Intensivbetten, die theoretisch zur Verfügung stehen, gibt es aktuell nicht", notiert De Standaard.
All das erlaubt nur eine Schlussfolgerung, stellt La Dernière Heure in ihrem Leitartikel fest: Das Covid-Safe-Ticket ist unnütz. Die Waffe, die es uns erlauben sollte, ins normale Leben zurückzukehren, ist stumpf. Das hat auch damit zu tun, dass das CST eine trügerische Sicherheit vorgaukelt. Es wird der Eindruck vermittelt, dass man sich in einer sicheren Umgebung befindet. Das ist natürlich falsch, weil auch Geimpfte infiziert sein und das Virus weiterverbreiten könnten.
N-VA gefährdet unsere Versorgungssicherheit
Viele Leitartikler beschäftigen sich auch heute wieder mit der Saga um die Gaskraftwerke und damit verbunden den Atomausstieg. Wir sehen hier politische Spielchen am Rande des Abgrunds, beklagt etwa Het Nieuwsblad. Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir verweigert erneut die Genehmigung für ein Gaskraftwerk. Sie beruft sich zwar auf geltendes Recht, doch findet jeder pfiffige Jurist immer eine Rechtsgrundlage, die gerade passt. Die N-VA will wohl über diesen Weg den Atomausstieg verhindern. Man vergisst dabei aber, dass Gaskraftwerke in gleich welchem Szenario immer nötig sein werden. In dieser Zwickmühle sitzen wir nur, weil wir 20 Jahre lang eine Energiepolitik hatten, die diesen Namen nicht verdient. Das scheint sich fortzusetzen. Auf die Gefahr hin, dass ein Minister bald darlegen muss, dass die Stromrechnung enorm hoch ist und dabei doch noch das Licht ausgeht.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich. Angesichts des aktuellen Hickhacks muss der Bürger wirklich hoffen und beten, dass unsere Politiker nicht dafür sorgen, dass uns am Ende der Strom ausgeht. Oder dass die Energierechnung nur noch weiter nach oben getrieben wird. Schon jetzt sind die Preissteigerungen überall spürbar. Von unseren Politikern dürfen wir eigentlich Maßnahmen erwarten, um dieses Problem abzufedern. Politische Spielchen sind hingegen Energieverschwendung.
Het Belang van Limburg ist richtig wütend. Das politische Säbelrasseln, das wir in den letzten Tagen gehört haben, ist absolut beispiellos. Insbesondere die N-VA lässt keine Gelegenheit mehr aus, um volle Breitseiten auf die Vivaldi-Koalition abzufeuern. Egal, ob man damit einen Atomausstieg sabotiert, den man selbst noch vor drei Jahren bekräftigt hatte. Natürlich gibt es Argumente sowohl für als auch gegen Gaskraftwerke. Doch geht es hier gar nicht um den Inhalt. Hier soll nur Vivaldi zugrunde gerichtet werden. Mit ihrer Strategie der verbrannten Erde bringen die flämischen Nationalisten unser aller Versorgungssicherheit in Gefahr. Wieder wird deutlich, dass die N-VA nicht ruhen wird, bis Belgien unregierbar ist. Flandern verdient aber konkrete Lösungen.
Andere Zeitungen sehen das nuancierter. "Ist das mit den Gaskraftwerken wirklich eine gute Idee?", fragen sich etwa De Tijd und Gazet van Antwerpen. Diese Entscheidung ist "diskutabel", meint De Tijd. Erstmal wegen des höheren CO2-Ausstoßes, aber auch weil man sich dadurch von zynischen Diktatoren abhängig macht. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat ja gerade erst damit gedroht, den Gashahn zuzudrehen. Wer auf Gaskraftwerke setzen will, wird zum Spielball von ziemlich unfreundlichen Figuren wie Lukaschenko, aber auch dessen großem russischen Verbündeten Wladimir Putin, analysiert auch Gazet van Antwerpen. Und das ist durchaus beängstigend.
Ein böses Machtspiel
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute mit dem zynischen Verhalten des weißrussischen Diktators Lukaschenko. An der Grenze zu Polen stauen sich die Flüchtlinge. Die Lage ist explosiv.
Diese Krise trägt das Gütesiegel von Lukaschenko, ist La Libre Belgique überzeugt. Der Diktator von Minsk hat einen regelrechten Menschenhandel organisiert, um seine EU-Nachbarn zu destabilisieren – dies als Antwort auf die Sanktionen der Europäischen Union. Angesichts dieser humanitären und politischen Falle, die ihr gestellt wurde, muss die EU entschlossen und einmütig reagieren. Sie darf sich nicht beugen, sondern muss mit neuen Sanktionen reagieren. Vor allem braucht es eine neue Strategie gegenüber dem eigentlichen Strippenzieher in der Region, nämlich Wladimir Putin. Zugleich muss sich Europa aber seiner eigenen Werte würdig erweisen: Wir dürfen die Menschen an der polnischen Grenze nicht elendig krepieren lassen.
Es ist ein böses Machtspiel – und der Einsatz ist Verzweiflung, findet auch De Standaard. Das Ganze legt die zwei Schwachpunkte der Europäischen Union offen. Erstens: Ein neuer Flüchtlingsstrom wäre ein Albtraum. Zugleich haben aber die Täter die Hand auf dem Gashahn. Und doch ist es undenkbar, dass die EU dem skrupellosen Menschenschänder Lukaschenko gegenüber Zugeständnisse macht.
Le Soir sieht nur eine Möglichkeit: Die EU braucht jetzt endlich die vielbeschworene Verteidigungsunion. Diplomatie, Multilateralismus, das alles ist schön und gut. Damit das wirklich funktioniert, braucht man aber auch eine gewisse Überzeugungskraft. Die jetzige Krise zeigt, dass es höchste Zeit ist für eine schnelle Eingreiftruppe unter EU-Banner.
Roger Pint