"Die Welt läuft sich warm für den Klimagipfel", titelt De Morgen. "Noch kein flämischer Klimaplan – Gipfel in Glasgow beginnt Sonntag, aber die flämische Regierung muss ihre Hausaufgaben noch machen", stellt Het Nieuwsblad fest. "Atomausstieg lässt Strompreis kaum steigen", melden gleichlautend Le Soir und De Standaard auf ihren Titelseiten.
Internationale Klimagipfel sind nicht gerade die starke Seite unseres Landes, erinnert De Morgen. Beim letzten Treffen in Madrid haben sich die vier Klimaminister Belgiens vor den Augen der Weltöffentlichkeit gekabbelt. Zum Glück bekommen wir am Sonntag in Glasgow eine Gelegenheit, dieses Bild zu korrigieren. Der Gipfel gilt als die letzte Chance, um die Klimakrise noch unter Kontrolle zu bekommen. Allen großen politischen Versprechungen zum Trotz steigt der Ausstoß von Treibhausgasen weiter. Das wiederum beschleunigt die Klimaerwärmung. Deshalb müssen alle Länder in Glasgow einen glaubwürdigen Klimaplan vorstellen. Flandern bekleckert sich hier nicht gerade mit Ruhm. Während Europa eine Reduzierung des Ausstoßes um 47 Prozent bis 2030 will, besteht Flandern stur auf 35 Prozent. Und selbst das bekommt die Region nicht hin, wettert De Morgen.
"Uninteressiert, kurzsichtig und archaisch"
"Ach ja, das Klima", seufzt Het Nieuwsblad. Heute soll die flämische Regierung endlich ihren Klimaplan vorstellen. Das ist zumindest der Plan. Zwei Stunden: mehr Zeit ist auf der Agenda heute nicht vorgesehen, um einen flämischen Klimaplan zustande zu bekommen. Das ist in etwa so viel Zeit, wie die flämische Wirtschaftsministerin Hilde Crevits damit verbracht hat, mit Schülern Gemüsespießchen zu machen. Oder wie Finanzminister Matthias Diependaele diese Woche für die katalanische Frage aufgebracht hat. Oder die Zeit, die Innenminister Bart Somers mit der Eröffnung eines neuen Einkaufszentrums in Mechelen verbracht hat. Das sagt doch viel darüber aus, welche Priorität die flämische Regierung dem Klima zumisst. Die flämische Klimapolitik lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Uninteressiert, kurzsichtig und archaisch, giftet Het Nieuwsblad.
De Standaard kommentiert die weiter tobende Debatte um den Atomausstieg: 18 Jahre hatte Belgien Zeit, eine Energiestrategie zu entwerfen. Und trotzdem gibt es noch immer Zoff. In gut regierten Ländern wird erst diskutiert und dann beschlossen – nicht andersrum. Der Energiewandel ist eine gigantische Herausforderung. Um diese erfolgreich zu bewältigen, müssen alle am selben Strang ziehen. In Belgien ist das Gegenteil der Fall. Das Allgemeinwohl zieht den Kürzeren gegen den politischen Profilierungsdrang. Dem Bürger als Steuerzahler und Energieverbraucher ist damit nicht gedient, kritisiert De Standaard.
La Dernière Heure sieht Parallelen zwischen der Debatte um den Atomausstieg und der Debatte um die Corona-Pflichtimpfungen. Erstens: eine übertriebene Spaltung, die jegliche Nuancierung tötet. Zweitens: selbsternannte Pseudo-Experten, die glauben, DIE Wahrheit gepachtet zu haben, nur weil sie eine halbe Studie überflogen, zwei Sätze des Berichts des Hohen Gesundheitsrates gelesen oder drei Twitter-Diskussionen verfolgt haben. Drittens: politische Positionierungen in Blasen, die der Klarheit schaden. In Belgien, dem berühmten Land des Kompromisses, scheint der gesunde Menschenverstand keine Chance mehr zu haben. Die Lösung liegt nicht in Extremen, die Debatte erfordert Maß. Aber sind wir dazu noch in der Lage?, fragt La Dernière Heure.
"Populismus in Reinkultur"
La Libre Belgique hebt hervor, dass die Impfgegner nur deswegen frei weiterleben und laut protestieren können, weil eine Mehrheit der Bürger Verantwortung gezeigt hat, indem sie sich hat impfen lassen. Ohne Impfung wären wir noch immer im Lockdown – oder tot. Es ist das Virus, das tötet, nicht der Impfstoff. Und der Mangel an Bürgersinn bei den Impfgegnern. Wie auch beim Covid-Safe-Ticket muss der Ton verschärft werden. Das unvernünftige Verhalten setzt die Krankenhäuser und Ärzte erneut unter Druck, so La Libre Belgique.
Het Belang van Limburg greift Äußerungen des Vlaams Belang auf: Die flämischen Rechtsextremen hatten Horeca- und Fitnessunternehmer gegen das Covid-Safe-Ticket zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Für diese neue Eskalation von Seiten der "flämischen Trumps" gibt es verschiedene Gründe. Der Vlaams Belang will bei denen, die von den Maßnahmen die Nase voll haben und bei den Impfverweigerern, Stimmen abgreifen. Weil die Partei gleichzeitig gegen die Wallonie und Brüssel wettern kann, kann sie auch auf die gemeinschaftspolitischen Knöpfe drücken. Und nicht zuletzt kann sich der Vlaams Belang so auch gegenüber dem rechten Rivalen N-VA profilieren. Der Vlaams Belang wirft deren Ministerpräsident Jan Jambon ja vor, gegenüber der föderalen Ebene eingeknickt zu sein. Der Diskurs des Vlaams Belang ist Populismus in Reinkultur. Hat die Partei auch plötzlich kein Problem mehr damit, dass ein großer Teil der flämischen Ungeimpften ausländische Wurzeln hat? Wird die Partei etwa die Strafen von bis zu 2.500 Euro bezahlen für Betriebe, die das Covid-Safe-Ticket boykottieren? Natürlich nicht. Die Führer des Vlaams Belang unterscheiden sich nicht vom protzenden, weißhaarigen Amerikaner, der seine Anhänger am 6. Januar dazu aufrief, das Kapitol zu erstürmen. Jeder weiß mittlerweile, wie das geendet hat, warnt Het Belang van Limburg.
"Galeerensträflinge auf Fahrrädern"
Auf ein ganz anderes Thema blickt Le Soir in seinem Leitartikel: Das Arbeitsgericht von Brüssel beschäftigt sich mit der Frage, ob die Menschen, die für den Lieferdienst Deliveroo arbeiten, wirklich selbstständig sind. Oder ob es sich vielmehr um Scheinselbstständigkeit handelt und sie deswegen als Angestellte behandelt werden sollten. Für die Zeitung geht die Problematik viel weiter als ein paar Lieferdienste für Essen. Was wir hier seit einiger Zeit sehen, ist nichts anderes als die Entwicklung eines digitalen Proletariats. Angesichts dieser "Galeerensträflinge auf Fahrrädern" fühlt man sich an das 19. Jahrhundert erinnert. Auch damals musste ein Kampf für die Rechte und die soziale Sicherheit der Arbeiter geführt werden. Es ist absolut die Aufgabe der Justiz, sich damit zu befassen. Wir wollen aber auch den Verbraucher nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch er muss sich Fragen über seine Rolle bei der Ausbeutung dieser Menschen stellen. Dieser meist jungen Männer und Frauen, die oft am Rand der Gesellschaft leben, weil sie keine Papiere oder keine Bildungsabschlüsse haben. Sind ihre Dienste wirklich so unverzichtbar? Müssen wir wirklich akzeptieren, dass sie unter dantesken Bedingungen arbeiten müssen? Dass sie ihre Gesundheit und manchmal ihr Leben riskieren, um uns einen kalten Burger nach Hause zu bringen? Es geht darum, dass sich diese Art von Geschäftsmodell nicht überall in der Wirtschaft ausbreitet, sonst droht unter dem Deckmäntelchen der Selbstständigkeit eine moderne Sklaverei, donnert Le Soir.
Boris Schmidt