"Minister Vandenbroucke über steigende Corona-Zahlen: 'Die vierte Welle ist da, und es ist eine heftige'", titelt Het Laatste Nieuws. "Vandenbroucke warnt vor steiler Zunahme der Corona-Zahlen: 'Wir müssen uns dagegenstemmen'", bringt Het Nieuwsblad ein anderes Zitat des föderalen Gesundheitsministers als Aufmacher.
"Covid – die Schulen von Schließung bedroht", so eine Überschrift bei La Dernière Heure. "Gesundheitswesen: Krankenhäuser wollen Strafen für Impfverweigerer", greift das GrenzEcho einen anderen Corona-Aspekt auf.
Mit Vorsicht und Bürgersinn gegen die vierte Welle
In den vergangenen Tagen häufen sich wieder alarmierende Meldungen über Corona, hält Gazet van Antwerpen fest. Innerhalb einer Woche haben die Ansteckungen in Belgien um 50 Prozent zugenommen. Und eine Dosis des Johnson & Johnson-Impfstoffs soll doch keinen so guten Schutz bieten. Müssen wir langsam nervös werden? Die Antwort lautet: Nein. Weil die übergroße Mehrheit der Menschen geimpft ist, liegen viel weniger Menschen mit Corona in belgischen Krankenhäusern als vor einem Jahr.
Aus den Zahlen des Instituts für Volksgesundheit, Sciensano, geht hervor, dass die Impfungen gut wirken. Es ist auch nicht so schlimm, dass ein Pieks mit Johnson & Johnson nicht ausreichen soll: Das lässt sich durch eine zweite Impfung mit Moderna oder Pfizer beheben.
Über all diese Nuancen dürfen wir aber nicht das Wichtigste aus den Augen verlieren: Wer Erkältungssymptome hat, soll zu Hause bleiben und sich testen lassen – auch wenn das wieder Einschränkungen für unser Privatleben bedeutet. Solange wir weiterhin Vorsicht und Bürgersinn kombinieren, sieht die Zukunft längst nicht so angsterregend aus.
Was uns allerdings Sorgen machen muss, ist, dass sich die sozialistische Gewerkschaft weiter gegen eine Pflichtimpfung des Gesundheitspersonals sperrt. Nach über 25.000 Corona-Toten sollte doch klar sein, dass die Interessen der Arbeitnehmer nicht über die der Patienten gestellt werden sollten, kritisiert Gazet van Antwerpen.
Die Pflichtimpfung für das Pflegepersonal kommentiert auch Het Laatste Nieuws. Die Politik ist sich noch immer nicht einig, mit welchen Strafen die Pflicht durchgesetzt werden soll. Ganz im Gegensatz zur Vorsitzenden des Pflegedachverbandes Zorgnet-Icuro, die nach einer Übergangsperiode von zwei bis drei Monaten zu einer Suspendierung und schließlich zu Entlassungen von Impfverweigerern übergehen will.
Hierbei sollte man verschiedene Punkte bedenken: Erstens ist Pflegepersonal nicht im Überfluss vorhanden. Zweitens besteht die Gefahr, dass diese Impfverweigerer sich dann in anderen Bereichen konzentrieren. Drittens kann man aufrichtige Angst vor einem Impfstoff nicht durch weitgehende Drohungen bekämpfen. Warum wird stattdessen nicht verlangt, dass sich die Verweigerer jede Woche auf eigene Kosten testen lassen? Damit würde man zumindest ihre Sorgen und Zweifel respektieren, meint Het Laatste Nieuws.
Die Schulen offenlassen!
Das GrenzEcho wettert generell dagegen, wie die "politischen Eliten" die "einfachen" Bürger behandeln: nämlich wie unmündige Kinder. Statt es ihnen zu überlassen, sich entsprechend der sich zwar abschwächenden, aber immer noch nicht überwundenen Pandemie zu verhalten und sich und andere weiterhin zu schützen, diktiert man den Menschen lieber, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. Das wirkt umso verstörender, wenn nicht gar surrealistisch, wenn man sich vor Augen führt, wie wenig Vertrauen jene, die meinen, sie müssten immer noch elf Millionen Menschen am Nasenring führen, bei eben diesen genießen, giftet das GrenzEcho.
Für La Dernière Heure gibt es hingegen vor allem eine Priorität: Die Schulen dürfen nicht wieder geschlossen werden. Die Verschlechterung der Corona-Zahlen hat bereits dazu geführt, dass eben über Schließungen oder über eine Verlängerung der Herbstferien wie letztes Jahr gesprochen wird. Aber nach über einem Jahr chaotischem Unterricht – wenn er denn überhaupt stattgefunden hat – brauchen die Kinder und Jugendlichen schulische Rituale, Gewohnheiten und einen Rahmen für ihr Leben. Wir können diese Generation nicht auf dem Altar einer Pandemie opfern, an der sie keine Schuld tragen. Jede geschlossene Schule ist ein Scheitern. Ein Scheitern des Umgangs mit dem Virus, unterstreicht La Dernière Heure.
Europäisches vs. nationales Recht
De Tijd blickt in ihrem Leitartikel auf den EU-Gipfel, der heute in Brüssel beginnt. Das wird der Schauplatz einer neuen Schlacht werden im Konflikt, den die polnische Regierung seit Jahren mit Brüssel austrägt. Es gibt zahlreiche Streitpunkte: Warschau tritt das Prinzip der Gewaltenteilung mit Füßen, indem es seine Richter gängelt. Genauso wie den Pluralismus, indem das Land LGBTQ+-freie Zonen einrichtet. Auch die Pressefreiheit wird geschändet, indem den Medien Maulkörbe verpasst werden.
In all diesen Punkten ist es korrekt, einen Kampf gegen die polnische Regierung zu führen. Denn diese Werte sind richtig. Und Polen hat sie akzeptiert, als es der EU beitrat. In einem Punkt muss man allerdings stärker nuancieren: In der Frage, ob die polnische Verfassung über der europäischen Gesetzgebung steht – oder umgekehrt. Diese Frage ist in den Verträgen nicht geregelt.
Man sollte auch festhalten, dass Polen in dieser Hinsicht nicht isoliert dasteht. Auch in Italien und Frankreich haben Richter geurteilt, dass im Konfliktfall nationales Recht über europäischem Recht steht. Selbst in Belgien ist die Situation nicht eindeutig. Natürlich wäre es einfacher und einheitlicher, wenn die EU in allen Belangen in Europa das letzte Wort hätte – aber das ist nicht so abgesprochen worden, konstatiert De Tijd.
Die Schwesterzeitung L'Echo hat hier aber eine eindeutige Meinung: Der Vorrang des europäischen Rechts vor nationalem Recht ist absolut und unveräußerlich. Souveränistische und rechtsextreme Parteien greifen die europäische Rechtsordnung regelmäßig an, indem sie eben darauf verweisen, dass dieser Vorrang nicht im EU-Vertrag festgehalten ist. Das ist zwar formell betrachtet richtig, aber die europäische Rechtsprechung ist seit 1964 eindeutig. Eine Entscheidung, die seitdem in tausenden von Entscheidungen für juristische Sicherheit innerhalb der EU und für Stabilität gesorgt hat. Der Vertrag von Lissabon beinhaltet auch eine Erklärung, die ausdrücklich den Vorrang der europäischen Gesetzgebung anerkennt. Dieser Text ist zwar nicht verpflichtend, aber die Mitgliedsstaaten der EU haben ihn übernommen, erinnert L'Echo.
Boris Schmidt