"Wie sich das Covid-Safe-Ticket in Brüssel durchgesetzt hat", titelt Le Soir. "Das Covid-Safe-Ticket könnte die Saison der Hallensport-Clubs ruinieren", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Ça passe ou ça casse", so die lapidare Schlagzeile von La Dernière Heure. Heißt also: Entweder das klappt oder es gibt Scherben, meint das Blatt. Es gebe nämlich noch viele offene Fragen, beklagen unter anderem Vertreter des Hotel- und Gaststättengewerbes. Aber Fakt ist, dass man ab heute vor dem Betreten zum Beispiel von Horeca-Betrieben oder Pflegeeinrichtungen in Brüssel das Covid-Safe-Ticket vorzeigen und damit den Nachweis erbringen muss, dass man geimpft, negativ getestet oder genesen ist.
"Willkommen in der Heimat von René Magritte!"
Was wir hier gesehen haben, das war letztlich eine Lektion in schlechter Kommunikation, kritisiert Le Soir in seinem Leitartikel. "Sie haben keine Ahnung, was es mit dem Covid-Safe-Ticket auf sich hat? Seien Sie beruhigt, Sie sind wahrscheinlich nicht allein". Die Ausweitung des Covid-Safe-Tickets auf viele Bereiche des öffentlichen Lebens ist in diesem Land doch ziemlich chaotisch verlaufen. Erst hieß es, dass das CST – großes Ehrenwort – nur bei einigen wenigen Großveranstaltungen zum Einsatz kommen würde. Innerhalb weniger Wochen ist das Covid-Safe-Ticket aber dann doch zu einem allgemeinen Persilschein geworden, der festlegt, wer ins Kino oder ins Fitnessstudio darf und wer nicht. Aber wer wann wo rein darf, ist ein undurchsichtiger Dschungel. Und wer das kontrollieren soll, weiß man auch nicht immer. Ganz zu schweigen von der eigentlichen Grundfrage: Warum das Ganze? Zur Begründung heißt es immer, dass die Impfquote in Brüssel zu niedrig sei. Aber auch das hat man den Bürgern zu wenig erläutert.
"Willkommen in der Heimat von René Magritte!", giftet auch La Dernière Heure. Jetzt wird also in Brüssel das Covid-Safe-Ticket zu einer Art Generalschlüssel. Aber erstmal nur in Brüssel. Als ob die 19 Hauptstadtgemeinden eine einsame Insel wären. Fakt ist: Wenn Sie auf besagter Insel ein Steak-Frites essen wollen, müssen Sie also erstmal Ihren QR-Code vorzeigen. Das heißt: Nur, wenn Sie drinnen essen wollen. Demgegenüber muss das Personal, das ja vornehmlich drinnen arbeitet, diesen 3G-Nachweis nicht erbringen.
"Legalisierte Diskriminierung" in der Wallonie und Brüssel
De Morgen geht seinerseits mit den politisch Verantwortlichen in Brüssel hart ins Gericht. Wegen der schlechten Impfquote in der Hauptstadt kann die epidemiologische Lage dort immer gehörig entgleisen. Und da kann sich die Politik nicht aus der Verantwortung stehlen. Das gilt in erster Linie für den zuständigen Regionalminister Alain Maron. Der Ecolo-Politiker hat von Anfang an die Ausweitung des Covid-Safe-Tickets relativiert. Man kann die Bürger aber nicht auf der einen Seite beruhigen, indem man ihnen sagt, dass sie keine Kontrollen zu fürchten haben, und dann auf der anderen Seite erwarten, dass sie sich impfen lassen. Resultat von alldem: Nach der Ankündigung zur Einführung des Coronapasses ist kein Ruck durch die Bevölkerung gegangen, haben sich nicht - wie etwa in Frankreich - viele Menschen noch schnell einen Impftermin geklickt. Und jetzt bleibt den Hauptstädtern nichts anderes übrig, als mit schlotternden Knien auf den Winter zu warten.
Die Wallonie wird dem Brüsseler Beispiel derweil in zwei Wochen folgen. "Wie das Covid-Safe-Ticket ab dem 1. November durchgesetzt wird", erklärt L'Avenir heute auf seiner Titelseite. In seinem Leitartikel übt das Blatt regelrechte Fundamentalkritik: Ab dem 1. November gilt im gesamten frankophonen Landesteil ein Zustand der legalisierten Diskriminierung, zischt die Zeitung. Überall, ob nun im Restaurant, auf Veranstaltungen oder in Krankenhäusern, werden von da an Menschen ausgegrenzt auf der Grundlage ihres Impfstatus' oder ihrer Weigerung, sich alle naselang testen zu lassen. Allerheiligen wird zum Trauertag für all jene, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine Impfung verweigern, wobei das – wohlgemerkt – ihr gutes Recht ist. Das ist nur die letzte in einer schier unendlichen Serie von Absurditäten, die wir in den letzten knapp zwei Jahren über uns ergehen lassen mussten. Denn oft ist der epidemiologische Nutzen der Maßnahmen mindestens zweifelhaft. Im vorliegenden Fall scheint die Lage in den Krankenhäusern beider Regionen schließlich unter Kontrolle zu sein. Die Ausweitung des Covid-Safe-Tickets ist eigentlich nicht zu rechtfertigen, meint sinngemäß L'Avenir.
Schlammschlacht statt tiefgehender Debatte über Stalking
Die flämischen Zeitungen haben ihrerseits weiter nur Augen für den Prozess gegen den im Norden des Landes sehr bekannten Fernsehmacher Bart De Pauw. Der muss sich vor einem Gericht in Mechelen wegen Stalkings verantworten. Neun Frauen, denen er nachgestellt hat, treten als Nebenklägerinnen auf. Die Verteidigung hatte die Vorwürfe mit allen Mitteln zu widerlegen versucht und die Aussagen der Nebenklägerinnen in Zweifel gezogen. Am Ende hat De Pauw doch um Verzeihung gebeten. "Doch noch eine Entschuldigung nach einem frontalen Gegenangriff", fasst es Gazet van Antwerpen zusammen. "Er hat alle Taschenspielertricks verwendet. Jetzt heißt es warten auf das Urteil am 25. November", lautet das Fazit von Het Nieuwsblad.
Es hätte ein interessantes Verfahren werden können. Stattdessen haben wir aber eine sehr unschöne, schmerzhafte Geschichte gesehen, für den Angeklagten aber vor allem für die Nebenklägerinnen, urteilt Gazet van Antwerpen. Wegen der Sturheit von Bart De Pauw geriet das Ganze zur Schlammschlacht. Sämtliche Aussagen der Frauen wurden regelrecht zerpflückt, deren Motivation in Zweifel gezogen. Die Gefühle der neun Nebenklägerinnen, hat man nicht mal ansatzweise berücksichtigt. Und obenauf dann noch die tränenreiche Entschuldigung von Bart De Pauw, der sich offensichtlich noch immer missverstanden fühlt. Der Prozess hätte eine tiefgehende Debatte über Stalking und sexuelle Belästigung anstoßen können. Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen. Und das ist schade.
In dieser Geschichte gibt es nur Verlierer, findet auch Het Laatste Nieuws. Das gilt für Bart De Pauw, an dem das Image eines lüsternen, triebgesteuerten Mannes mittleren Alters haften bleiben wird, der jungen Frauen besessen nachstellt. Die Nebenklägerinnen mussten ihrerseits diese ganze schmerzhafte Geschichte nochmals in allen Einzelheiten über sich ergehen lassen. Das Institut für die Gleichheit von Männern und Frauen wollte aus dieser Affäre eigentlich einen "Musterfall" machen, ein Symbol für die MeToo-Problematik. Dafür war das wohl die falsche Akte.
Roger Pint