"De Croo: 'Mundschutzmasken können vielerorts weg'", zitiert Het Nieuwsblad den Premierminister auf seiner Titelseite. "Abschied von der Mundschutzmaske?", fragt Het Belang van Limburg. "Laut Erika Vlieghe ist es zu früh, um die Maskenpflicht abzuschaffen", ergänzt Le Soir im Innenteil mit der Meinung der bekannten Infektiologin.
Im wahrsten Sinne des Wortes "die Maske fallen zu lassen", das wäre eine sehr wichtige Entscheidung, meint L'Avenir. Es wäre ein Signal an die Bevölkerung, dass die Gesundheitskrise dieses Mal wirklich hinter uns liegt. Es wäre ein Signal, nicht mehr auf der Hut sein zu müssen. Wenn sich De Croo für eine Abschaffung der Maskenpflicht ausspricht, dann tut er das aber auch in seiner Rolle als flämischer liberaler Gewählter. N-VA-Chef Bart De Wever fordert nämlich immer lauter eine Rückkehr zum normalen Leben in Flandern; das betrifft auch die Masken.
Angesichts der großen Unterschiede bezüglich des Impfgrads wird Premier De Croo nicht länger an identischen Maßnahmen für alle Teilstaaten festhalten können. Er wird die Zügel lockern müssen. Selbst wenn Gesundheitsexperten das für unvorsichtig halten, könnte die Maskenpflicht also örtlich fallen. Der Konzertierungsausschuss wird sich am Freitag unter anderem damit befassen müssen. Eine Verlängerung der Maßnahmen ohne Rücksicht auf regionale Unterschiede wird nicht mehr haltbar sein, resümiert L'Avenir.
Die Herausforderungen für den Konzertierungsausschuss
Auch De Standaard blickt auf den anstehenden Konzertierungsausschuss. Jetzt, da alle, die das wollten, die Chance auf eine Impfung hatten, beginnt eine neue, spannende Phase: Wie lange werden Geimpfte noch bereit sein, das Risiko zu akzeptieren, das die Ungeimpften darstellen? Wie wollen sie sich dagegen verteidigen? Wie sollen Politiker die entstehenden Spannungen unter Kontrolle halten? Das sind die größten Herausforderungen beim Konzertierungsausschuss am Freitag. Um diese Polarisierung in Grenzen zu halten, haben die politisch Verantwortlichen keine andere Wahl, als der Freiheit und Sicherheit der Geimpften Vorrang zu geben. Aus Solidarität die gleichen Maßnahmen für alle – das ist keine Option mehr, ist De Standaard überzeugt.
Mit einem weltrekordverdächtigen Impfgrad bröckelt auch die Akzeptanz für leidige Schutzmaßnahmen im Rekordtempo. Ganz sicher bei den Geimpften, unterstreicht auch Het Nieuwsblad. Schon jetzt ist deutlich, dass Regeln nur dann durchsetzbar sind, wenn sie auch logisch sind. Nicht nur, dass man unlogische Regeln nicht mehr erklärt bekommt, sie untergraben auch die Schutzmaßnahmen, die wirklich weiterhin notwendig und logisch sind, etwa Masken im öffentlichen Nahverkehr. Immer hartnäckiger stellt sich auch die Frage, wie viel Solidarität die vollständig Geimpften noch gegenüber den stur Ungeimpften aufbringen sollen. Vor einem Jahr war ein Corona-Pass noch undenkbar – jetzt liegt er auf dem Tisch, auch außerhalb Brüssels. Eine allgemeine Impfpflicht stößt inzwischen mehr auf praktische als auf moralische Bedenken. Die Geduld neigt sich eindeutig dem Ende zu – zu Recht. Der Konzertierungsausschuss muss diese Knoten durchhacken. Aber wie die Virologen immer gewarnt haben: Einen Lockdown zu verhängen, ist einfach. Der schwierige Teil, das ist, wieder herauszukommen, konstatiert Het Nieuwsblad.
"Unbegreiflich"
La Dernière Heure blickt in puncto Corona-Pass nach Brüssel. Das eigentliche, kaum verschleierte Ziel ist, den Ungeimpften das Leben so schwierig wie möglich zu machen, um sie zu überzeugen, sich endlich impfen zu lassen. Aber kann ein erweiterter Corona-Pass wirklich den Impfgrad signifikant nach oben treiben? Das kann nur die Zeit zeigen. Solange Geimpfte und Ungeimpfte aneinander vorbeireden, ist Optimismus aber nicht wirklich angesagt, befürchtet La Dernière Heure.
De Morgen bleibt ebenfalls in der Hauptstadt: Am Wochenende haben wieder 3.500 Corona-Kritiker in Brüssel demonstriert. Wieder hat man gesehen und gehört, dass es das Virus gar nicht gibt. Dass der Corona-Pass der erste Schritt zu einem Apartheidsregime ist, dass Ungeimpfte bald den Judenstern tragen müssen und dass wir in einer Gesundheitsdiktatur leben. Eine Diktatur, die natürlich von der mächtigen Pharmalobby gesteuert wird. Spezialisten haben die Verschwörungstheorien nach dem 11. September analysiert. Was daraus gelernt worden ist, kann man auch auf die Corona-Krise anwenden. Erstens: Es ist vollkommen sinnlos, mit überzeugten Verschwörungstheoretikern diskutieren zu wollen. Zweitens: Die Behörden müssen vor allem deutlich und transparent sein.
Vor diesem Hintergrund ist der Kurs, den der Brüsseler Ecolo-Gesundheitsminister Alain Maron fährt, unbegreiflich. Der Impfgrad in Brüssel beträgt weniger als 50 Prozent, Krankenhäuser müssen nicht-dringende Operationen verschieben, Covid-Patienten müssen in andere Regionen verlegt werden. Und doch sagt Maron, dass der Corona-Pass nur dann ausgeweitet wird, wenn sich die Ansteckungszahlen verschlechtern. Politikerkollegen erklären sein Verhalten vor allem damit, dass ein Teil der Grünen und ihrer Basis aus Impfgegnern und -Skeptikern besteht. Es ist vielleicht noch nachvollziehbar, dass man die eigene Wählerschaft nicht enttäuschen will. Jeder Politiker muss an seine Wiederwahl denken. Aber so stur zu bleiben, während das Gesundheitssystem und die Gesellschaft ächzen, das kann man fast nur noch schuldhafte Unterlassung nennen, wettert De Morgen.
Große Verantwortung für alle Beteiligten
Le Soir kommt auf dem Wiederbeginn des universitären Lebens zurück: Endlich geht es wieder los. Aber eines ist klar: Alle Beteiligten tragen eine große Verantwortung. Die Situation in den Universitäten und in ihrem Umfeld bedeutet, das es hier leicht zu Corona-Infektionsherden kommen kann. Das darf man auf keinen Fall unterschätzen, gerade angesichts der viel ansteckenderen Delta-Variante. Die jungen Menschen fühlen sich persönlich oft wenig vom Virus betroffen. Aber sie dürfen nie vergessen, dass sie aus zwei Gründen besonders zu einer Verschlechterung der epidemiologischen Lage beitragen können: zunächst wegen ihrer zahlreichen, sehr unterschiedlichen und wiederholten sozialen Kontakte. Aber auch, weil sie als Bevölkerungsgruppe einen sehr niedrigen Impfgrad aufweisen, mahnt Le Soir.
Boris Schmidt