"PS und Ecolo legen Schicksal der Regierung in die Hände der Hungerstreikenden", titelt De Standaard. "Der Streik droht die Vivaldi-Koalition wegzuschwemmen", schreibt Le Soir.
Dass die beiden frankophonen Parteien mit einer Regierungskrise drohen, beschäftigt heute fast alle Kommentatoren und sie sind fassungslos. Erst kam die beispiellose Pandemie, dann die außergewöhnliche Notlage durch die Unwetter. Wenn jetzt die Regierung stürzt, würden sich die Bürger verlassen und allein gelassen fühlen wie nie zuvor, ist sich Le Soir sicher. Sowohl die streikenden Papierlosen in Brüssel als auch die Flutopfer müssten dann erleben, dass sie nur auf sich selbst zählen können. Wenn sich Politiker heute und morgen erst zum Gedenken an die Flutopfer hinstellten, um anschließend die Regierungsarbeit hinzuwerfen, wäre das nur heuchlerisch, meint Le Soir. Zumal bei Neuwahlen vor allem die extreme Rechte gewinnen würde.
Politische Spielchen auf dem Rücken von Menschen
In die gleiche Kerbe schlägt Het Laatste Nieuws. Wenn die PS die Regierung wegen 470 illegaler Hungerstreikenden verlässt, tanzt der Vlaams Belang Polonaise, schreibt die Zeitung und sieht linksextreme Aktivisten als Drahtzieher hinter dem Hungerstreik. Der Streik ist keine spontane Aktion von Papierlosen, sondern eine orchestrierte politische Demonstration. Daher zeigt sich die Föderalregierung unbeeindruckt – es sieht aus wie Theater, schreibt Het Laatste Nieuws.
Auch De Standaard stellt die Frage, ob die PS wirklich glaube, dass sie den Wählern einen Sturz der Regierung in der aktuellen Lage verkaufen kann. Heftige Kritik übt das Blatt an der Organisation Médecins du Monde. Die links-aktivistischen Ärzte treiben die Hungerstreikenden dazu, an ihrer Aktion festzuhalten, um ihre politische Agenda zu setzen, glaubt De Standaard. Wo bleibt da der hippokratische Eid, nach welchem Ärzte Leben zu schützen haben? Erste Verlierer einer gestürzten Regierung wären in jedem Fall die Papierlosen selbst. Eine nur geschäftsführende Regierung kann noch weniger für sie tun, so De Standaard.
Belgien gibt in Fragen der Migration schon länger eine beklagenswerte Figur ab, meint La Libre Belgique. Im EU-Vergleich steht Belgien als schlechter Schüler da. Doch statt die Probleme von Grund auf zu lösen, spielen PS und Ecolo ihr politisches Spielchen auf dem Rücken der papierlosen Menschen. In dieser Legislaturperiode sind noch viele Probleme anzupacken: Arbeitsmarkt, Renten, Steuern sowie der Staatshaushalt – und Vivaldi hat nichts Besseres zu tun als eine politische Krise zu provozieren? Das ist unverantwortlich und zynisch, meint La Libre Belgique.
Realitätscheck: Täter und Opfer zugleich
Auch De Tijd macht sich Sorgen um die Regierbarkeit des Landes. Wenn schon die Regularisierung von Papierlosen die Regierung derart in Bedrängnis bringt, was passiert dann, wenn es an die großen Probleme geht? Die PS pokert mit ihrer Drohung hoch und handelt unverantwortlich. Denn scheitert Vivaldi an dieser Frage, dann droht Belgien unregierbar zu werden.
Mit Blick auf die Drohung der PS und Ecolo meint De Morgen, dass man mit großspurigen Aussagen Popularität gewinnen kann. Aber sie schaffen nicht das Problem aus der Welt. Hier sieht De Morgen auch die EU in der Verantwortung, Migration besser zu regeln. Papierlose sind für De Morgen zunächst selbst Opfer, weil sie ohne Arbeitserlaubnis in Schwarzarbeit oft ausgebeutet werden. Wer papierlose Personen dergestalt missbraucht, ist der eigentliche Illegale.
Papierlose sind Täter und Opfer zugleich meint auch Het Nieuwsblad. Sie haben vor allem ein Recht darauf, schnell eine Entscheidung über ihr Bleiberecht zu erhalten. Trotzdem darf sich der Staat nicht von ihnen erpressen lassen. Dass jeder einzelne Fall geprüft wird, ist Ausdruck von Barmherzigkeit, das unhaltbare Versprechen von offenen Grenzen hingegen eine Utopie, meint Het Niewsblad. Ähnlich sieht es Gazet van Antwerpen und fügt hinzu: Es sind die Streikenden, die ihr Leben in ihren Händen haben – nicht die Föderalregierung.
Jeder kann jemandem helfen
La Dernière Heure kommt noch einmal auf die Hochwasserkatastrophe zurück und appelliert, genauer hinzuschauen, wo wir unsere Häuser errichten. In Überflutungsgebieten dürfen sie nicht mehr stehen. Doch haben die Bürgermeister künftig den Mut, das durchzusetzen? Schaut man auf Gemeinden wie Pepinster, dürfte dort fast nirgendwo mehr gebaut werden - geradezu utopisch.
Auch Het Belang van Limburg mahnt, dass wir uns besser auf künftige Naturkatastrophen vorbereiten müssen. Aufbauend wirkt da die große Solidarität im Land. Nach Corona und der Fußball-EM gewinnt auch in der Hochwasserkrise das "Tous ensemble!". Und das Blatt stellt heraus, dass, obwohl vor allem die Wallonie von den Hochwassern getroffen wurde, viele Flamen zum Helfen in die Katastrophengebiete gefahren sind. Wir können nicht jedem helfen, aber jeder kann jemandem helfen – gibt Het Belang van Limburg seinen Lesern mit auf den Weg.
Olivier Krickel